achtraufe Das Wasser, das vom Himmel fällt, verteilt sich ganz von selber; die Dachtraufen indes sammeln es wieder ein, lassen es zu Sturzbächen zusammenlaufen und in dichtbelebte Straßen hinunterplätschern, wo es Kutschböcke überschwemmt, taftene Sonnenstores herunterreißt, Fußgänger bis auf die Haut durchnäßt und das Pflaster unterspült.
Wenn sich die Ströme aus den Traufen wenigstens in die Hinterhöfe ergössen! Aber nein, sie rieseln, pladdern, tosen wie die Sintflut auf das Publikum hernieder; der Sturzbach wird zum Katarakt, und oftmals kreuzen sich die Katarakte beider Straßenseiten. Dabei schwemmt das Wasser erst noch allerhand Ziegelscherben und Mörtelbrocken von den Dächern, und was oben in der Rinne kaum eine Unze wog, vervielfacht sein Gewicht im Fallen. Schützt eure Schädel, Leute, trifft's euch, seid ihr so gut wie trepaniert!
Fast wäre man versucht zu glauben, daß es jemand darauf angelegt habe, Paris ein ganz besonderes Wasserspiel zu bieten; 20 000 Sturzbäche aus je fünfzig Fuß Höhe, ist das etwa nichts? Nur plätschern sie eben leider nicht nur harmlos daher, sondern führen nebst dem schon Erwähnten noch den gesamten übrigen Dreck der Dächer mit sich.
Unter dem Ansturm der Gewitterfluten verbiegen sich diese bleiernen Wasserspeier oder brechen gar ab und stürzen herunter; die aus Holz dagegen sind meist morsch vor Altersschwäche und lassen ihr Naß zu Pfützen zusammenlaufen. Da rette sich, wer kann! Aber wohin? Wie man es auch anstellt, wird man von den so unklug konzentrierten Regenmassen halb erschlagen, und fährt man, widerhallt das Wageninnere derart vom Getöse dieser Wasserfälle, daß man den Blick besorgt zur Decke wendet.
Warum, um Himmelswillen, versieht man denn die Hausmauern nicht mit Rohren, durch die das Wasser gefahrlos abfließen könnte? Manch einer dieser Katarakte läßt seinen Segen in derart üppigem Strahl herniederprasseln, daß man ihm beim besten Willen nicht entgehen kann. Er durchnäßt Kutscher, Pferde und Lakaien gleichermaßen und bildet schließlich in der Straßenmitte einen regelrechten Fluß, Wohlgeborgen unter den Vordächern, weidet sich das Volk am Anblick der Lakaien, die jedesmal, wenn wieder einer dieser windgepeitschten Wassersäulen droht, denKopf einziehen und die es doch erwischt, und oft gerade dann, wenn sie schon glauben, durch zu sein. Das Publikum quittiert ihr Pech mit schallendem Gelächter, und die Lakaien tun dann so, als lachten sie mit. Was bleibt ihnen anderes übrig? So, wie sie in diesem Augenblicke sind, nämlich naß wie Suppenklöße, stünde ihnen ihre sonstige steife Arroganz wahrhaftig nicht sehr gut.
Nach dem Gewitter aber sind die Pflasterfliesen unterspült und ohne Mörtel und glatt wie Scherenschleifersteine und bleiben es, bis die Straßenarbeiter kommen und den Schaden beheben.
Aber auch in trockenem Zustand sind diese Dachtraufen kaum weniger gefährlich,
als wenn sie Wasser spucken. Die Bewohner der Mansarden und Dachböden mißbrauchen
sie in ihrer Bequemlichkeit als Aborte, in die sie ihren ganzen Unrat schütten.
Wer denkt, wenn der Himmel blau und das Wetter freundlich ist, schon an Dachtraufen!
Nun, ohne jede Vorwarnung und bei schönstem Sonnenschein kriegt Ihr jählings
einen Guß ab, und sein übler Duft verrät nur allzu deutlich, womit Ihr da berieselt
worden seid. - Louis Sébastien Mercier, Mein Bild von Paris.
Frankfurt am Main 1979 (zuerst ca. 1780)
Dachtraufe (2)
Prelude to Winter The moth under the eaves And love is a curious |
Vorspiel zum Winter Der Falter unter der Traufe Liebe ist sonderbar, ein |
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