- Nicole
Claveloux
(Illustr. zu Confessions d'un monte-en-l'air)
Dachgarten (2) Wir
haben unsere Schnittwunden so gut wie möglich verbunden und sind mit ein paar
Wertsachen, wichtigen Dokumenten und soviel Nahrungsmitteln, wie wir tragen
konnten, ins oberste Stockwerk hinaufgegangen. Am meisten Angst hatten wir vor
den Explosionen. Oben auf dem Haus gibt es einen Dachgarten, wo sich alle versammelt
haben. Es war ein entsetzlicher Anblick. Überall stiegen schwarze Rauchfahnen
auf, und gewaltige Wassersäulen schössen in die Höhe, wenn wieder ein Abwasserrohr
explodierte. Natürlich regnete es immer noch, und wir hockten da oben zusammengedrängt
unter Schirmen und in Decken eingewickelt, weil es uns sicherer erschien als
im Haus, denn in unserem Keller konnte es ja auch eine Explosion geben. Stunde
um Stunde saßen wir da, zitterten und warteten auf Hilfe— vergeblich. Den Leuten
ringsum auf den Dächern erging es ebenso, andere schauten ganz benommen aus
den Fenstern im obersten Stockwerk. Vermutlich waren wir durchgeweicht und halb
erfroren, denn immerhin hatten wir November, aber ich kann mich nicht erinnern,
es gespürt zu haben. Das läßt sich schwer erklären, aber irgendwie befanden
wir uns in einem Schwebezustand. Wir sprachen kaum miteinander. Wir warteten
nur. Warteten auf Hilfe. Auf jemanden, der uns sagte, was zu tun war, der alles
erklärte. Dann begannen die Autohupen zu plärren, Hunderte auf einmal, als würde
die ganze Stadt in lautes Gejammer und Wutgeheul ausbrechen. Eine Zeitlang heiterte
uns das auf, weil der Eindruck entstand, als seien da draußen Menschen und Autos,
als täte sich etwas, und da dachten wir, daß unser Bezirk der einzige war, der
unter Wasser stand, und der ganze Lärm nur bedeuten konnte, daß Hilfe unterwegs
war. Aber das Getöse ging ununterbrochen weiter, ohne Pause, bis es uns allmählich
seltsam und unwahrscheinlich vorkam, daß so viele Leute ununterbrochen auf ihre
Hupen drückten. Wir wären nie im Leben darauf gekommen, daß die ganze Stadt
ertrank und die vielen hundert Autos, deren Hupen so jaulten, herrenlos waren
und von den Wasserfluten mitgerissen wurden, die ihre Stromkreise kurzgeschlossen
hatten. - Magdalen Nabb, Tod einer Verrückten. Zürich 1997
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