hronik
Mai 1917 Streikgelüste
sind mit starker Hand niedergehalten, in Rio de Janeiro deutsche Läden geplündert,
Washington triumphiert, American Parade - demokratiebesoffene russische Intellektuelle
werden die Bauern im Namen der Freiheit zu Paaren treiben. Nicht so sehr, daß
auch hier im Land es immer wieder vom Krieg heißt: (immer wieder) durchhalten.
Dieser Privatsache wegen? - als Schrecken, Geissel, Weltenverwirrung aufgemacht,
niemand sollte darauf achten! Durchhalten gleich Dasein: Noch nicht sich aufhängen
gleich Krieg - mehr Krieg, 1 Jahr 6 Monate Zuchthaus, weil eine bereits abgestrafte
Frau sich wehrt, weiter noch einzugestehen (5 Termine, aber doch endlich im
Unglück Balance finden will). - Graziöse Einbrüche auf Blusen, Schuhe, Speck
und Zucker. Das Sich-Wehren steigt endlich im Kurs, Roheitsdelikte, Sentimentalität
fällt. Entblättert zu Angst, Leben-wollen, oh - die anderen etc. Nicht aber
wollen - hier! Sondern leben! Leben!!
Juni 1917 Friedrich Adler ist zum Tode verurteilt, Stockholm-Getöne gegen internationale
Teuerung - das Leben weiterhin billiger, Lebensmittel bleiben in Cornerstimmung.
Nach Reuter verhungern in Ovamboland die Ovambos, keine Kaffern - in den European
Dominions niemand! Verhungert doch - Steigerung!! Spinoza ist eingestampft für
Bedarf diplomatischer Sendschreiben - Liberia, Pseudoliberia - Moliere verrieselt
in Sternheim (Zukunft vom 26.5.1917), Umfassungsmanöver gegen Wallner in Wien,
Durst! - das Aktionsbuch ist erschienen. Frühlingswende fiebert Sexualität,
Heufieber. Liebeloh la l'au! Sich hinzu-schmeissen! Lichtmord!! - unsere Seelen
sind so wund. Amokläufer .......
Die Messer raus!!!« - Franz Jung, in
Neue Jugend. Mai/Juni 1917, nach: Fritz Mierau, Das
Verschwinden von Franz Jung. Stationen einer Biografie. Hamburg 1998
Chronik (2) „Natürlich würde
eine echte Kontinuität", fuhr er fort, „zum Erzählen mehrere Menschenleben
benötigen. Was soll man also machen, eh? Merken Sie das Problem; Eh? Was soll
man also machen;"
Solent gab, so gut er konnte, durch diskrete Grimassen zu verstehen, daß
er das Problem merke, seine Lösung aber der profunden Intelligenz seines Gegenübers
überlasse.
Mr. Urquhart fuhr fort: „Wir müssen auswählen, mein Freund. Wir müssen auswählen.
Die ganze Geschichtsforschung liegt in Auswahl.
Wir können nicht alles aufnehmen. Wir dürfen nur das aufnehmen, was Mark hat
und Saft und Salz. Sachen wie Ehebrüche, Mordtaten und Hurereien."
„Werden wir irgendeine Methode der Auswahl anzuwenden haben;" erkundigte
sich Wolf.
Mr. Urquhart kicherte. „Wissen Sie, was ich mir gedacht habe;" sagte
er. „Ich dachte, daß ich gerne jene Perspektive zu den menschlichen Ereignissen
bekäme, die die Bettpfosten in Bordellen sich
im Lauf der Zeit erwerben müssen — und die Schanktische der Kneipen — und die
Zimmer der Haushofmeister in alten Häusern — und die schlammigen Gräben in viel
und lang von Liebespaaren frequentierten Straßen." -
John Cowper Powys, Wolf Solent. Wien u. Hamburg 1986 (zuerst 1929)
