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der Sektierer
Der Verschlag erweist sich als idealer Arbeitsraum, auch wenn der Platzmangel
durch den Einbau einer Couch beängstigend geworden ist, schlafe, beischlafe,
wohne, ja koche ich doch nun auch hier, nachts von den Psalmen der Heiligen
vom Uetli umdröhnt, »halte Einkehr, Mensch und Christ, rette deine Seele, und
was sonst zu retten ist, werde ohne Fehle«....
Von unten
her jubilierte die Sekte: »Mach dich bereit, du guter Christ, erscheint der
jüngste Tag, sorg daß die Seel gerettet ist, er kommt mit Donnerschlag.« ...
Im
unteren Stockwerk sang die Sekte immer noch ihren Weltuntergangschoral: »Es
platzt die Sonn' mit großer Wucht, der Erdengrund vergeht. Wer dann die Seel'
zu retten sucht, vor Jesu Christ besteht.« ...
Drunten
jubilierten sie wieder: »Klappt einst der Höllenrachen zu, qualmt noch der Hölle
Flamm', dann ist's zu spät, o Menschlein du, es kracht die Welt zusamm'.« ...
Draußen war ein Gewitter gewesen, ungeheure krachende Entladungen,
der Regen rauschte noch, doch ohne Erleichterung zu bringen, es war schwül und
dumpf. Unter mir dröhnten die Psalmen »Sinke, Welt, in Christi Arm, gehe fröhlich
unter« und »Heiliger Geist, mit Blitz und Knall auf uns Sünder niederfall«. ...
Draußen
donnerte das Gewitter von neuem los, und unter uns heulten die Psalmen auf:
»Zermalme, Gott, uns Otternbrut, zerschmettre, Jesu, unser Gut, wir haben Dich
geschlachtet, den Heiligen Geist mißachtet.« - Friedrich Dürrenmatt, Justiz. Zürich 1987
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