alvinismus  Er kam in eine  holländische Stadt, wo Candide mehrere achtunggebietende, gravitätische Persönlichkeiten um ein Almosen  bat , aber sie gaben ihm alle zum Bescheid, wenn er weiter diesem Handwerk nachgehe, werde man ihn ins Schellenhaus sperren, damit er Lebensart lernen könne.

Hierauf wandte er sich an einen Mann, der eben eine geschlagene Stunde lang ganz allein einem großen Menschenauflauf christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gepredigt hatte. Der Prediger sah ihn mißtrauisch über die Schulter an und fragte: »Was wollen Sie hier? Halten Sie's mit der guten Sache? Oder was hat Sie sonst hergeführt?«

»Es gibt keine Wirkung ohne Ursache«, gab ihm Candide bescheiden und schüchtern zur Antwort. »Alles hängt notwendigerweise zusammen wie die Glieder einer Kette, und alles ist zum besten bestellt. Es fügte sich unausweichlich, daß ich aus Fräulein Kunigundes Nähe weggejagt wurde und Spießruten laufen mußte, und jetzt muß ich mein Brot zusammenbetteln, bis ich's mir einmal verdienen kann. All dies konnte gar nicht anders kommen.«

»Guter Freund«, fragte ihn der Prediger weiter, »glauben Sie, daß der Papst der Antichrist ist?«

»Das habe ich bisher noch nie gehört«, erwiderte Candide. »Ob er's aber ist oder nicht, sicher ist jedenfalls, daß ich nichts zu beißen und zu brechen habe.«

»Das verdienst du auch gar nicht«, schäumte nun der Pfaffe. »Scher dich fort, du halunkischer Spitzbube! Geh deiner Wege, du niederträchtiger Schuft, und komm mir zeit deines Lebens nimmer unter die Augen!«

Die Frau des Predigers hatte mittlerweile den Kopf zum Fenster herausgestreckt, und als sie nun eines Mannes ansichtig wurde, der noch zweifeln konnte, daß der Papst der leibhaftige Antichrist sei, leerte sie ihm über den Kopf einen platschvollen . . . Hilf Himmel! Zu welch maßlosen Greueln kann doch der Glaubenseifer ein Weib hinreißen!    - Voltaire, Candide oder Der Glaube an die beste der Welten, nach (vol2)