abaret

1.

Der Exhibitionist stellt sich gespreizt am Vorhang auf
und Pimpronella reizt ihn mit den roten Unterröcken.
Koko der grüne Gott klatscht laut im Publikum.
Da werden geil die ältesten Sündenböcke.

Tsingtara! Da ist ein langes Blasinstrument.
Daraus fährt eine Speichelfahne. Darauf steht: «Schlange».
Da packen alle ihre Damen in die Geigenkästen ein
und verziehen sich. Da wird ihnen bange.

Am Eingang sitzt die ölige Camödine.
Die schlägt sich die Goldstücke als Flitter in die Schenkel.
Der sticht einer Bogenlampe die Augen aus.
Und das brennende Dach fällt herunter auf ihren Enkel.

2.

Von dem gespitzten Ohr des Esels fängt die Fliegen
ein Clown, der eine andre Heimat hat.
Durch kleine Röhrchen, die sich grünlich biegen,
hat er Verbindung mit Baronen in der Stadt.

In hohen Luftgeleisen, wo sich enharmonisch
die Seile schneiden, drauf man flach entschwirrt,
Versucht ein kleinkalibriges Kamel platonisch
zu klettern; was die Fröhlichkeit verwirrt.

Der Exhibitionist, der je zuvor den Vorhang
bedient hat mit Geduld und Blick für das Douceur,
vergißt urplötzlich den Begebenheitenvorgang
und treibt gequollene Mädchenscharen vor sich her.

- Hugo Ball, nach: Nautilus Literarischer Taschenkalender 1988. Hamburg 1987

Cabaret (2)

Cabaret

 I.

Auf das Gesuch des Negers schwieg die große Huppe
Und Emmys höllenrotes Schlankbein war komplett.
Auf's Ruhbett steige ich als Archipenko-Puppe
Und predige Diabolik dem Magnet-Korsett.

O Vielgetön eisgelb geschwollener Sardinen!
Belache, Publikum, den heroiquen Selbstmord der Diseuse!
4 Geiger biegen übern Brustkorb rote Eisenschienen.
Das Auge Gottes wacht auf der Pleureuse.

O Reitpferd Franz! Cönakelhafte Wanze!
Die Welt ist tief besoffen, glasäugig, voll Epilepsie.
Trompetenschnauze schlägt in violette Bassprotuberantze.
Röhrend äsen Kaiser Wilhelms Hippopodami.

II.

Die lilafarbene Pagodentrommel scheppert schief.
Wellenbock heißt der Cellist, Krassmilch und Kuttelfleck.
Es knerpelt Nackenwirbel sich fatal zu hohen Drehgewinden.
Eh lala! Musik sägt mir die Flanken auf.

Die Brüder Moll und Jebby blasen auf der Okarina.
Orchestermusik rechts schwenkt hinein in die offene Flanke.
Ein ganzer Unterleib voll Musik und Trompetenrohr.
Dick vom Kind tänzelt die Diseuse aus der Garderobe.

- Hugo Ball

Cabaret (3)

 - N.N., "Chez Edmea"

Cabaret (4) Was ist der Mensch? Was sehr Natürliches sagen die Einen. Nee, was ganz Künstliches, die Andern. Ich meine, der Mensch ist so 'ne bessere Art Marionette, die vom — Milieu gespielt wird, von der Atmosphäre, die der Mensch sich selbst schafft. Ach Gott, Quatsch, das Leben ist ein bald lustiger, bald trauriger Unsinn — und das Kabarett ist so etwa ein größerer Taschenspiegel. Alles spiegelt sich drin — ganz gut könnte man den Begriff Mensch als Kabarettnummer beinahe mechanisch darstellen. Das Kabarett zum Menschen, das wäre so'ne Art Eisenkäfig in zwei Etagen, mit einem Hometrainer, einem Motorrad in der ersten und einer Leitspindeldrehbank und Stanzmaschine in der zweiten Etage. Dazu käme noch 'n Föhnapparat und ein Waschkorb mit ganz, ganz winzigen Zettelchen, auf denen gedruckt steht: Seele. Damit kann man den ganzen Innerlichkeitshokuspokus, der sich Menschsein heißt, glänzend darstellen. Was ist denn weiter groß am Menschen dran; das Milieu kurbelt so'n bißchen den Seelenmotor an, und haste nich' jeseh'n — geht die Chose los: Schiebung, Mord, Ehebruch, Geburt, Hochzeit, Tod Na, und denn stoppt die Geschichte wieder. Na also. Aber um auf das Kabarettstück zurückzugelangen: mit diesen Apparaten kann man den ganzen Seelenapparat verdeutlichen, so daß jeder sieht: des biste. In der ersten Etage des Käfigs setzt sich ein Fahrer auf das Motorrad, oben stellt sich je ein Mann an die Maschinen. Ein Herr in Smoking und weißer Binde erscheint vor dem Käfig und sagt feierlich: Meine Damen und Herren! Wir werden Ihnen innerhalb von drei Minuten zeigen, wie der Mechanismus der Seele funktioniert. Sie erhalten ein kurzes, schlagendes Exempel Ihrer eigenen inneren Aufwendungen, Ihres Ringens. Dann ertönt ein Pfiff: und mit gewaltigem Gepuff und Geknatter, Gestöhne und Funkenstieben rast der Motorfahrer los, die Stanzmaschine stampft, die Leitspindeldrehbank surrt und knirscht: an ihnen arbeiten heftig die beiden Monteure. Das Publikum muß deutlich sehen, daß der ganze Salat unnütz ist, das ganze Gerassle und die ganze Rumfuhrwerkerei hat nicht den mindesten Sinn!! — Nach 3 Minuten ertönt ein Trillerpfiff: alles stoppt ab. der Föhnapparat tritt in Aktion und pustet die zehntausend Zettelchen mit dem Aufdruck: Seele! über das gesamte Publikum. Wer dann noch nicht begriffen hat, daß der Mensch wirklich so ist, nichts weiter, ein leerlaufender Unsinn: na, der kann mir leid tun! Der verdiente gar nicht die Segnungen unserer Zeit und Kultur, Ziegenbrühwürstchen (wenn Ihnen Ihr Hund gestohlen wurde, inserieren Sie nicht: kaufen Sie sich ein Paar Frankfurter!) Leberwurst, Spickgans mit Sekt — nee, der müßte direkt zur Strafe Präsident von Deutschland werden! So, dà haben Sie 's!  - Raoul Hausmann in: Schall und Rauch, Februar 1920

Cabaret (5)

Das Vorstadtkabarett

Verschweißte Kellnerköpfe ragen in dem Saal
Wie Säulenspitzen hoch und übermächtig.
Verlauste Burschen kichern niederträchtig,
Und helle Mädchen blicken hübsch brutal.

Und ferne Frauen sind so sehr erregt ...
Sie haben hundert rote runde Hände,
Gebärdelose, große, ohne Ende
Um ihren hohen bunten Bauch gelegt.

Die meisten Menschen trinken gelbes Bier.
Verrauchte Krämer glotzen grau und bieder.
Ein feines Fräulein singt gemeine Lieder.
Ein junger Jude spielt ganz gern Klavier.

- Alfred Lichtenstein, nach: Dich süsse Sau nenn ich die Pest von Schmargendorf. Erotische Gedichte des Expressionismus. Hg. Hartmut Geerken. München 1985

 

Unterhaltung

 

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