ullshit  

Eines Tages ließ ich mir die Mandeln herausnehmen, lag im Evelyn Nursing Home und bedauerte mich selbst. Da kam Wittgenstein zu Besuch. Ich krächzte: »Ich fühle mich wie ein Hund, den man überfahren hat.« Wittgenstein war entrüstet: »Sie haben doch gar keine Ahnung, wie sich ein überfahrener Hund fühlt.«  (Fania Pascal, Meine Erinnerungen an Wittgenstein)

Wer weiß schon, was damals wirklich geschah? Es scheint ungewöhnlich und fast unglaublich, daß jemand ernsthaft Einwände gegen Fania Pascals Bemerkung erheben könnte. Die Beschreibung ihrer Gefühle - die doch so unschuldig nah bei dem Gemeinplatz »sich hundeelend fühlen« liegt - ist einfach nicht provokativ genug, um eine so lebhafte und heftige Reaktion wie Entrüstung auszulösen. Wenn Pascals Vergleich bereits eine Provokation ist, welche mit Bildern oder Anspielungen arbeitende Sprache wäre dies dann nicht? Vielleicht geschahen die Dinge gar nicht so, wie Fania Pascal sie uns berichtet. Vielleicht wollte Wittgenstein nur einen Scherz machen, der jedoch mißlang. Vielleicht wollte er sie mit einer kleinen Übertreibung nur ein wenig aus der Reserve locken, sie aber verstand Ton und Absicht nicht richtig. Sie meinte, er sei über ihre Bemerkung entrüstet, während er sie nur mit einer spielerisch übertriebenen Pseudokritik aufmuntern wollte. In diesem Fall wäre die Szene keineswegs unglaublich oder abstrus. Doch da Pascal nicht erkannte, daß Wittgenstein nur scherzte, lag vielleicht die Möglichkeit, daß er es ernst meinte, zumindest nicht ganz fern. Sie kannte ihn, und sie wußte, was sie von ihm erwarten konnte; sie wußte, wie er auf sie wirkte. Ihr Verständnis oder Mißverständnis seiner Bemerkung war daher höchstwahrscheinlich nicht vollkommen unvereinbar mit dem Eindruck, den sie von seiner Persönlichkeit hatte. Wir dürfen daher durchaus annehmen, daß ihre Darstellung des Vorfalls zwar möglicherweise nicht den wahren Absichten Wittgensteins gerecht wurde, wohl aber hinreichend ihrer Vorstellung von Wittgenstein entsprach, um sie zu veranlassen, ihn so zu verstehen. Für die weitere Diskussion werde ich Pascals Darstellung akzeptieren und von der Annahme ausgehen, daß Wittgenstein auf sprachliche Anspielungen und bildlichen Sprachgebrauch tatsächlich so überzogen reagierte, wie sie behauptet. Worüber also gerät Pascals Wittgenstein so in Rage? Nehmen wir an, er hat in der Sache recht und Fania Pascal weiß wirklich nicht, wie sich überfahrene Hunde fühlen. Dennoch lügt sie nicht wirklich, wenn sie sagt, was sie da sagt. Ihre Bemerkung wäre nur dann eine Lüge, wenn es ihr zu diesem Zeitpunkt in Wirklichkeit gutgegangen wäre. Denn so wenig sie auch über das Leben von Hunden wissen mag, muß ihr doch immerhin klar sein, daß Hunde sich nicht gut fühlen, wenn sie überfahren werden. Wenn sie sich also in Wirklichkeit gut fühlte, wäre es tatsächlich eine Lüge, falls sie behauptete, sie fühle sich wie ein überfahrener Hund.

Pascals Wittgenstein will ihr nicht den Vorwurf der Lüge machen, sondern den einer verfälschenden Darstellung anderer Art. Sie beschreibt ihr Empfinden als das »Gefühl eines Hundes, den man überfahren hat«. Aber das Gefühl, auf das die Redewendung verweist, kennt sie nicht wirklich. Natürlich ist die Formulierung für sie kein völliger Unsinn. Schließlich redet sie kein Kauderwelsch. Was sie da sagt, besitzt eine nachvollziehbare Konnotation, die sie ohne Zweifel versteht. Außerdem hat sie durchaus eine Ahnung von der Qualität des Gefühls, von dem in der Formulierung die Rede ist. Sie weiß immerhin, daß es ein unerfreuliches, unangenehmes Gefühl ist, ein schlechtes Gefühl. Problematisch an ihrer Bemerkung ist der Umstand, daß der Satz vorgibt, mehr zu transportieren als die bloße Mitteilung, sie fühle sich schlecht. Ihre Charakterisierung des Gefühls ist allzu spezifisch, sie geht viel zu sehr ins Besondere. Fania Pascal fühlt sich nicht einfach nur schlecht, sondern sie fühlt sich nach eigenem Bekunden in jener besonderen Weise schlecht, die ein Hund empfindet, der überfahren worden ist. Für den Wittgenstein in Pascals Anekdote ist das, nach seiner Reaktion zu urteilen, einfach nur Bullshit.

Nehmen wir an, Wittgenstein hält die von Pascal gegebene Beschreibung ihres Gefühls tatsächlich für Bullshit. Was regt ihn daran so auf? Ich glaube, er regt sich auf, weil er den Eindruck hat, ihre Aussage sei - zunächst einmal grob gesagt - nicht dem nötigen Bemühen um die Wahrheit verpflichtet. In ihrer Bemerkung drückt sich nicht der Versuch einer Realitätsbeschreibung aus. Sie glaubt ja noch nicht einmal selbst, daß sie mehr als nur in höchst unbestimmter Weise wüßte, wie ein überfahrener Hund sich fühlt. Die Beschreibung ihres eigenen Gefühls ist demnach etwas, das sie sich lediglich zusammengereimt hat. Sie hat es erfunden, oder sie hat es von jemand anderem gehört und plappert es nur gedankenlos und ohne Rücksicht auf die wirklichen Gegebenheiten nach.

Für diese Gedankenlosigkeit tadelt Pascals Wittgenstein sie. Er ist entrüstet, daß es sie gar nicht interessiert, ob ihre Behauptung richtig ist. Natürlich verbirgt sich hinter dieser Äußerung aller Wahrscheinlichkeit nach nur der ungeschickte Versuch, ein farbiges Bild zu verwenden, um munter und bei guter Laune zu wirken, und ohne Zweifel ist Wittgensteins Reaktion, wie Fania Pascal sie schildert, grotesk intolerant. Aber wie dem auch sei, es scheint klar, welcher Art seine Reaktion ist. Er unterstellt, sie spräche gedankenlos und ohne gewissenhafte Beachtung der relevanten Tatsachen über ihre Gefühle. Ihre Bemerkung ist nicht »mit größter Sorgfalt gearbeitet«. Sie trifft die Feststellung, ohne über deren Richtigkeit auch nur im geringsten nachzudenken. Problematisch für Wittgenstein ist offenbar nicht die Tatsache, daß Pascal bei der Beschreibung ihrer Gefühle einen Fehler begeht.

Auch nicht die Tatsache, daß dieser Fehler auf Gedankenlosigkeit beruht. Zu der laxen oder unüberlegten Redeweise kommt es nicht deshalb, weil sie in einem Augenblick unbeabsichtigter Nachlässigkeit zu wenig Aufmerksamkeit auf die Richtigkeit ihrer Aussage verwendet. Entscheidend ist vielmehr, daß Pascal, soweit Wittgenstein dies sehen kann, einen bestimmten Sachverhalt beschreibt, ohne ernsthaft die Erfordernisse zu beachten, die das Bemühen um eine zutreffende Beschreibung der Realität mit sich bringt. Ihr Fehler ist nicht, daß sie die Dinge nicht richtig darstellt, sondern daß sie dies gar nicht erst versucht. Für Wittgenstein ist das wichtig, weil er ihre Bemerkung - zu Recht oder zu Unrecht - ernst nimmt und als eine Aussage versteht, die mit dem Anspruch auftritt, eine informative Beschreibung ihres Gefühlszustands zu liefern. In seinen Augen geht Pascal damit einer Tätigkeit nach, bei der die Unterscheidung zwischen dem, was wahr ist, und dem, was falsch ist, entscheidende Bedeutung besitzt, ihr aber ist es vollkommen gleichgültig, ob das, was sie sagt, wahr oder falsch ist. In diesem Sinne ist ihre Aussage vom Streben nach Wahrheit abgeschnitten. Der Wahrheitswert der Aussage ist ihr egal. Deshalb kann man nicht sagen, sie habe gelogen. Denn sie maßt sich nicht an, die Wahrheit zu kennen, und ist daher überhaupt nicht in der Position, bewußt eine Behauptung aufzustellen, die sie selbst für falsch hielte. Ihre Aussage gründet weder in der Überzeugung, daß sie wahr sei, noch in dem Glauben, daß sie falsch sei, wie es für eine Lüge erforderlich wäre. Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit - in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind - liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits. - Harry G. Frankfurt, Bullshit. Frankfurt 2006 (zuerst 2005)

Bullshit (2)

BULLSHIT

Don’t be afraid of bullshit.
Do bullshit as often as you like.
Do your sweetest bullshit to your loved one
And keep your deadliest bullshit for your foe.
Bullshit is good when it sets you free,
When it’s a pure expression of yourself.
Bullshit is good when it’s serious bullshit,
When you are committed to it.
As a great man once said:
If you do bullshit, do great and unique bullshit.
So, please do your own bullshit.
Do not follow some trendy bullshit.
Because that would be real bullshit.

- Apollonia Saintclair

 

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