ücherverbrennung  Eine der Schriften des Protagoras fing mit folgenden Worten an: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, daß sie sind, der nichtseienden, daß sie nicht sind." Er behauptete, die Seele bestehe lediglich aus den sinnlichen Wahrnehmungen, wie ihn auch Platon kennzeichnet im Theaetet  und alles sei wahr. Ein anderes Buch begann mit folgenden Worten: „Von den Göttern weiß ich nicht, weder daß sie sind noch daß sie nicht sind; denn vieles hemmt uns in dieser Erkenntnis, sowohl die Dunkelheit der Sache wie die Kürze des menschlichen Lebens." Wegen dieser Anfangsworte seiner Schrift ward er aus Athen verbannt, und seine Bücher wurden auf dem Markte verbrannt, nachdem man sie durch öffentlichen Heroldsausruf allen Besitzern abgefordert und eingezogen hatte.  - (diol)

Bücherverbrennung (2)

Bücherverbrennung (3) Ich habe gerade entdeckt, daß ein zögerliches Feuer im Nu mit Grammophonplatten auf Touren gebracht werden kann. Eine Schallplatte ist so leicht entzündbar wie ein Eimer Benzin, obwohl sie für den Kraftfahrer keinen befriedigenden Ersatz darstellt.

Außerdem habe ich herausgefunden, daß die Werke von Walter Pater mit ruhiger blauer Flamme brennen und einen feinen grauen Rückstand hinterlassen, der Zigarrenasche nicht unähnlich. Ein Buch von Seoirse Moore wird schwelen und dabei stechenden Rauch entwickeln: Hell glimmen wird es, wenn man einen Blasebalg verwendet, und es wird sogar in stumpfgelbe Flammen aufgehen, wenn man ein bißchen Proust oder ein bißchen von Miguel Botticellis Memoiren (Miguel war der Bruder) beimischt: Die Rückstände nehmen die Form grober Schlacke an.

Wenn Sie eine brüllende, weißglühende, problemlose Feuersbrunst wollen, bei der die federleichten Rückstände auch gleich noch mit durch den altmodischen irischen Kamin hochgepeitscht werden, probieren Sie's mit ein paar Meisterwerken der gälischen Literatur. - (myl)

Bücherverbrennung (4)

Der Heilige Geist (Vogel) in Aureole entzündet die Bücherverbrennung

- N.N.: Titelblatt des Index librorum prohibitorum von 1711

Bücherverbrennung (5)

Bücherverbrennung (6)  Gegen Bücher wurde ebenso Krieg geführt wie gegen Völker. Die Römer verbrannten die Werke der Juden und Christen; die Juden die Bücher der Heiden und Christen; die Christen hingegen die von Juden, Heiden und Ketzern geschriebenen. Bei der Einnahme von Granada ließ Kardinal Ximenes fünftausend Korane ins Feuer werfen. Die englischen Puritaner verbrannten eine Menge Bücher, die ihnen nicht paßten; ein anglikanischer Bischof ließ Brandfackeln in die Bücherei der eigenen Kirche werfen, und angeblich zündete Cromwell die Oxforder Universitätsbibliothek an. -  Istvan Ráth-Végh, Die Komödie des Buches. Leipzig 1984

Bücherverbrennung (7)  

CALIBAN  Nun, wie ich sagte, 's ist bei ihm die Sitte,
Des Nachmittags zu ruhn; da kannst ihn würgen,
Hast du erst seine Bücher; mit 'nem Klotz
Den Schädel ihm zerschlagen, oder ihn
Mit einem Pfahl ausweiden, oder auch
Mit deinem Messer ihm die Kehl abschneiden.
Denk dran, dich erst der Bücher zu bemeistern,
Denn ohne sie ist er nur so ein Dummkopf,
Wie ich bin, und es steht kein einzger Geist
Ihm zu Gebot. Sie hassen alle ihn
So eingefleischt wie ich. Verbrenn ihm nur
Die Bücher! Er hat schön Gerät - so nennt ers -
Sein Haus, wenn er eins kriegt, damit zu putzen.
Und was vor allem zu betrachten, ist
Die Schönheit seiner Tochter, nennt er selbst
Sie ohnegleichen doch. Ich sah noch nie ein Weib,
Als meine Mutter Sycorax und sie:
Doch sie ist so weit über Sycorax,
Wies Größte übers Kleinste.

- Shakespeare, Der Sturm

Bücherverbrennung (8)  Ich ergötze mich an der Vorstellung, daß die Menschen bald einmal das Lesen satt bekommen werden und die Schriftsteller dazu, daß der Gelehrte eines Tages sich besinnt, sein Testament macht und verordnet, sein Leichnam solle inmitten seiner Bücher, zumal seiner eignen Schriften, verbrannt werden. Und wenn die Wälder immer spärlicher werden sollten, möchte es nicht irgendwann einmal an der Zeit sein, die Bibliotheken als Holz, Stroh und Gestrüpp zu behandeln? Sind doch die meisten Bücher aus Rauch und Dampf der Köpfe geboren: so sollen sie auch wieder zu Rauch und Dampf werden. Und hatten sie kein Feuer in sich, so soll das Feuer sie dafür bestrafen. Es wäre also möglich, daß einem späteren Jahrhundert vielleicht gerade unser Zeitalter als saeculum obscurum gälte; weil man mit seinen Produkten am eifrigsten und längsten die Öfen geheizt hätte. - Friedrich Nietzsche, Schopenhauer als Erzieher (1874)

Bücherverbrennung (9)

Bücherverbrennung (10)

Bücherverbrennung (11)  Werke I, S. 418 macht Nietzsche den Vorschlag: »und wenn die Wälder immer spärlicher werden sollten, möchte es nicht irgendwann einmal an der Zeit sein, die Bibliotheken als Holz, Stroh und Gestrüpp zu behandeln? Sind doch die meisten Bücher aus Rauch und Dampf der Köpfe geboren, so sollten sie auch wieder zu Rauch und Dampf werden.«   »Polemik gegen mittelalterlich«  steht geradezu auf seinem Programm [W. XI, S. 406]; er beklagt Werke X, S. 185:  »Alles Allgemein-Wichtige einer Wissenschaft ist zufällig geworden oder fehlt ganz.
Die Sprachstudien ohne die Stillehre und Rhetorik.
Die indischen Studien ohne die Philosophie.
Das klassische Altertum ohne Zusammenhang mit dem praktischen Bestreben von ihm zu lernen.
Die Naturwissenschaft ohne jene Heilung und Ruhe die Goethe dann fand.
Die Geschichte ohne den Enthusiasmus.

Kurz, alle Wissenschaften ohne die praktische Wendung: also anders getrieben als sie die meisten Kulturmenschen getrieben haben. Die Wissenschaft als Broterwerb«; und fragt schließlich: »Gegenmittel gegen Wissenschaft. Wo? Die Kultur als Gegenmittel. Um für die empfänglich zu sein, muß man das Ungenügende der Wissenschaft erkannt haben. Tragische Resignation: Gott weiß, was das für eine Kultur wird. Sie fängt von hinten an.« -  - Hugo Ball, nach: H. B., Der Künstler und die Zeitktankheit. Ausgewählte Schriften. Frankfurt am Main 1988

Bücherverbrennung (12)   «Seht! Seht! Was für Haufen von Büchern und Broschüren!» rief ein Kerl, der offenbar kein Literaturfreund war. «Jetzt werden wir ein prächtiges Feuerwerk erleben!»

«Das ist recht», sagte ein moderner Philosoph. «Jetzt befreien wir uns endlich von der Gedankenfracht der Toten, die bisher so schwer auf dem Verstand der Lebenden gelastet hat, daß er unfähig war, sich wirkungsvoll zu betätigen. So ist's recht, meine Freunde! Ins Feuer damit! Jetzt wird die Welt tatsächlich erleuchtet!»

«Aber was soll aus dem Handel werden?» schrie ein aufgebrachter Buchhändler.

«Oh, die Händler sollen ihre Waren auf jeden Fall begleiten», bemerkte ein Schriftsteller kühl. «Das gibt einen vornehmen Scheiterhaufen!» Das Menschengeschlecht hatte mittlerweile wahrhaftig eine Entwicklungsstufe erreicht, die so weit über das hinausging, was die weisesten und geistreichsten Männer früherer Zeiten je erträumt hatten, daß es einfach absurd gewesen wäre, die Erde noch langer mit deren armseligen Hervorbringungen auf literarischem Gebiet zu belasten. Demgemäß hatte man die Buchhandlungen, die Bücherstände, die öffentlichen und privaten Bibliotheken und sogar die kleinen Bücherborde am ländlichen Kamin gründlich durchsucht und alles bedruckte Papier der Welt, ob gebunden oder ungebunden, herbeigeholt, damit unser ruhmreiches Freudenfeuer, das bereits so groß wie ein Berg war, noch höher anschwelle. Dickleibige Folianten, in denen die mühselige Arbeit von Lexikographen, Kommentatoren und Enzyklopädisten steckte, versanken bleischwer in der Glut und verkohlten zu Asche wie morsches Holz. Die kleinen reichvergoldeten französischen Bücher des vorigen Jahrhunderts, unter ihnen die hundert Bände von Voltaire, verschwanden unter einem leuchtenden Funkenregen und kleinen Stichflammen, wohingegen die Gegenwartsliteratur derselben Nation mit rotem und blauem Schein verbrannte und die Gesichter der Zuschauer in ein infernalisches Licht tauchte, so daß sie alle wie gescheckte Teufel aussahen. Von einer Sammlung deutscher Erzählungen stieg ein schwefliger Gestank auf. Die englischen Klassiker gaben ein ausgezeichnetes Brennmaterial ab und wiesen die Eigenschaften solider Eichenholzscheite auf. Miltons Werke zumal warfen einen mächtigen Feuerschein und verwandelten sich allmählich in rote Kohle, die länger vorzuhalten schien als fast alle anderen Bestandteile des Scheiterhaufens, Shakespeare sandte eine Flamme von so wunderbarem Glänze empor, daß die Menschen die Augen beschatteten wie gegen die Strahlen der Mittagssonne; selbst als die Werke seiner Ausdeuter auf ihn fielen, hörte er nicht auf, aus dem hochgetürmten Haufen heraus ein sinnbetörendes Licht zu verbreiten. Es ist meine Überzeugung, daß er noch immer so hell leuchtet wie einstmals. - Nathaniel Hawthorne, Das Brandopfer der Erde. In: N. H., Das große Steingesicht. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel 9, Hg. Jorge Luis Borges)

 

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