Brombeeren    Irgendwo in diesem Familienfest warnte eine Traverse-Großmutter Kinder davor, die Brombeeren zu essen, die im Oktober in dieser Küstenregion wuchsen. «Sie gehören dem Teufel. Alle, die ihr findet und eßt, sind sein Eigentum, und er mag keine Brombeerdiebe - dann kommt er und holt euch.» Selbst skeptische Erwachsene erschauerten, als sie sagte: «Wenn ihr diese armen Seelen an der Straße stehen und im Nebel und Oktoberregen Brombeeren pflücken seht, an irgendeinem Feldweg, in den Ruinen der alten Farmhäuser, wo die Ranken besonders dicht sind, dann fahrt weiter und dreht euch nicht um, denn dann wißt ihr, woher sie kommen und für wen sie arbeiten und wohin sie wieder zurückkehren müssen, wenn der Tag zu Ende ist.»  - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

Brombeeren (2)  Violett reifer Brombeeren. Arlecqs Zunge hat das Wort behalten, als sie längst schon über der Brücke sind. Und noch, als sie, Arlecq über rot und violett nachsinnend, Standseilbahn fahren, hoch zum Weißen Hirsch, hoch wie zum Montmartre, meint Arlecq, der den Montmartre nur über Toulouse-Lautrec kennt, vielleicht noch über Gertrude Stein. Weil er, anders als lsabel, keinen französischen Paß hat. Brombeeren. Arlecq, soweit schon existent, zitierte an dieser Stelle nach seinem Großvater seinen Vater, als gälte es einen Geist anzurufen; denn Arlecqs Vater gab seine Gebeine zur Ausgestaltung eines Schlachtfeldes, düngte damit einen friedlichen ukrainischen oder italienischen oder serbo-kroatischen Acker. Wahrscheinlich doch einen italienischen, was Arlecq vor allem mit dem deutschen Drang nach Süden erklärte. Schon Goethe. Auch Goethe. Nicht vorzustellen, in welchen Mahlstrom ein so simples Wort wie Brombeeren einen bringen kann, denkt Arlecq, indes er Hand in Hand mit lsabel, weich ineinandergeschmiegt, ineinander-schmelzend, die Mitfahrenden beobachten das mißmutig, hier ist nicht Paris, indes beide Standseilbahn fahren, unter ihnen der Abgrund. Immer noch Brombeeren. Arlecq erinnert sich endlich. Er halt sich mit der Linken an der Hand seines Vaters fest, indes beide Standseilbahn fahren oder auch Drahtseilbahn, einen anderen Berg anfahren, in einer anderen Gegend. Vorbei an Wänden, wild von Sträuchern, von Brombeersträuchern bewachsen. Schwarz sind die Beeren im August wie in den Märchenbüchern. Arlecq hat sie alle auf der Zunge der Einbildung. Als sie oben angelangt aussteigen, weiß er, daß ihn von nun an nichts mehr erfreuen kann. Nie, auch nicht unter den phantastischsten Möglichkeiten, wird er diese Brombeeren in die Hand bekommen, an denen die Bahn mit boshafter Langsamkeit sich hochseilte. Brombeeren der unerfüllten Liebe, Brombeeren der erfüllten Liebe. Deine Augen sind Brombeeren. Tienes moras en la cara, sagt Arlecq zu lsabel, die daraus ein Wortspiel knüpft, weil sie ihn nicht versteht, so nah wie sie zuemanderstehen, ihn nicht begreift, seinen Kummer zu Wortspielen verbiegt. Brombeeren, die zu weit hängen. El moro eres tu, sagt sie. Arlecq kann nicht lachen. Er nimmt sich vor, sie besser zu lieben. Nur sie allein. Ein Romantiker, werden Sie sagen, denkt Arlecq, in der hellichten Stadt des Jahres Neunzehnhundertundsiebenundfünfzig. Hätte sein Vater ihm damals die Brombeeren pflücken können, mit schnellen gewandten Fingern, wäre sein Arm so lang gewesen, vielleicht daß er seine Italiensehnsucht mit einer Marmeladenfabrik kompensiert hätte, und Arlecq war heut sein Teilhaber und Millionärserbe, mit der Wünschelrute der Erfüllung, die aus Blüten Früchte macht, doch meist nur l aus Mädchenschößen Kinder wachsen ließ. Wenigstens i' hatte hier die segensreiche Natur einen ewigen Trost ge-, spendet. Letzteres konnte jeder mit seiner ihm von Gott , auf die Welt gegebenen ureigenen Wünschelrute, Gott sei Dank, das konnte man, wenn es auch nicht für die Brombeeren langte. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig 1993 (zuerst 1975)
 

Obst

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme