roadway Der Broadway leuchtete in hellem Wahnsinn wie immer, und das Gedränge war so zäh wie Sirup. Man mußte sich einfach hineinstürzen wie eine Ameise und sich weiterschieben lassen. Wie jeder es tat, die einen aus gutem, die anderen ohne jeden Grund. All dieses Geschiebe und Gedränge ist Aktion, Erfolg, Vorwärtskommen. Man muß stehenbleiben und die Schuhe, die bunten Hemden, die neuen Herbstmäntel und die Eheringe für 98 Cents gesehen haben. Ein Freßlokal nach dem anderen.
Jedesmal, wenn ich mich um die Abendessenszeit in dieser Straße befand,
ergriff mich ein Fieber der Erwartung. Sie erstreckt
sich nur über ein paar Häuserblocks, vom Times Square bis zur Fünfzigsten
Straße, und wenn man vom Broadway spricht, ist nur das damit gemeint, was
soviel heißt wie nichts, nur ein Katzensprung und noch dazu ein kleiner;
aber um sieben Uhr abends, wenn jeder sich beeilt, um einen Tisch zu erwischen,
liegt es wie elektrisches Knistern in der Luft, die Haare stehen einem
zu Berge wie Fühler, und wenn man empfänglich ist, fängt man nicht nur
jedes Flimmern und Funkeln auf, sondern kriegt den statistischen Fimmel,
das quid pro quo der Wechselwirkung molekularer, ektoplasmatischer Körper,
Massen, die sich im Räume drängen wie die Sterne der Milchstraße, nur daß
hier die Fröhliche Weiße Straße ist, der Gipfel der Welt ohne Dach, und
weder Spalt noch Loch unter den Füßen, durch die man fallen und sagen kann,
es sei eine Lüge. Seine völlige Unpersönlichkeit bringt einen in eine delirierende
Hochstimmung des Menschseins und läßt einen vorwärtsrennen wie eine blinde
Mähre und mit den delirierenden Ohren wackeln. Jeder ist so völlig, so
wildentschlossen nicht er selbst, daß man automatisch zur Verkörperung
des gesamten Menschengeschlechts wird, tausend Menschenhände schüttelt,
in tausend verschiedenen menschlichen Zungen gackert, flucht, klatscht,
pfeift, schnulzt, monologisiert, redet, gestikuliert, uriniert, befruchtet,
zwitschert, schmeichelt, jammert, schachert, kuppelt, jault und so weiter
und so weiter. Man ist gleichzeitig alle Menschen, die seit Moses gelebt
haben, und dann ist man eine Frau, die einen Hut kauft oder
einen Vogelkäfig oder einfach eine Mausefalle. Man kann in einem Schaufenster
liegen wie ein vierzehnkarätiger Goldring oder kann an der Außenwand eines
Gebäudes hochklettern wie eine menschliche Fliege, aber nichts wird dem
Menschenstrom Einhalt gebieten, nicht einmal mit Blitzesschnelle durch
die Luft fliegende Regenschirme oder zweistöckige Walrosse, die sich gemächlich
zu den Austernbänken aufmachen. Der Broadway, wie ich ihn noch heute sehe
und fünfundzwanzig Jahre lang gesehen habe, ist eine Rampe, die vom heiligen
Thomas von Aquin erdacht wurde, als er noch
im Mutterleib steckte. Ursprünglich war er nur für Schlangen und Eidechsen,
die gehörnte Kröte und den roten Reiher gedacht, aber als die große spanische
Armada versenkt worden war, schlängelte sich der Mensch aus der Galeone
und schwappte an Land, schuf mit seinem widerlichen und ekelhaften Gewusel
und Gewimmel die vaginaartige Spalte, die von der Battery im Süden zu den
Golfplätzen im Norden verläuft, vorbei an dem toten, wurmstichigen Zentrum
von Manhattan. Vom Times Square bis zur Fünfzigsten Straße ist hier alles
vorhanden, was der heilige Thomas von Aquin in sein Magnum opus aufzunehmen
vergaß: unter anderem Hamburger, Kragenknöpfe, Pudel, Musikautomaten, graue
Melonenhüte, Farbbänder, Stielbonbons, Bedürfnisanstalten, Papierservietten,
Pfefferminzbonbons, Billardkugeln, gehackte Zwiebeln, Spitzendeckchen,
Kanallöcher, Kaugummi, sidecars und sourballs, Zellophan, Vollreifen, Elektromagneten,
Pferdetinktur, Hustentropfen, Atempastillen und die katzenhafte Undurchsichtigkeit
des hysterischen Eunuchen, der mit abgesägter Schrotflinte zwischen den
Beinen zur Milchbar marschiert. Diese Vortisch-Atmosphäre, die Mischung
von Patschuli, überhitztem Asphalt, eisgekühlter Elektrizität, gezuckertem
Schweiß und pulverisiertem Urin
versetzt einen in einen Fieberwahn der Erwartung.
- (wendek)
Broadway (2) Tolle Straße.
Zwischen kleinen alten Hänsern, rot mit Feuerleitern außen, unvermittelt Wolkenkratzer.
Alle Fassaden überklebt mit Reklamen, auch bei Tage schon erleuchtet. Kinos
schon früh in Betrieb. Halb Sankt Pauli, halb Friedrichstraße, halb Paris -
und dabei durch die überraschenden Ausblicke auf aufgerichtete schmale Turmhäuser
doch wieder gänzlich anders (...) überall stehen desperadohaft (...) sonderbar
nervös aussehende Männer in Gruppen zu Dutzenden - alle Rassenmischungen. Halb
Gangster, halb Businessmen. Was haben die alle zu besprechen??? Zigarren, große,
in den goldplombierten Zähnen. Immer wieder ein eigentümlich, verlebter angespannter
Zug im Gesicht - faltig. Ein großer ironischer Mann mit nur einer Krücke. Weicher
Filzhut. Neger mit Regenschirmen. Elegante jüdisch-spanische weirhosige kurzjackige
gents mit gelockertem Kragen - alle Hände in den Taschen. -
George Grosz 1933 an seine Frau, nach: Ben Hecht, 1001 Nachmittage in New York. Frankfurt am Main 1992 (it 1323, mit Zeichnungen
von George Grosz, zuerst 1941)
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