rigant Es stimmt nicht, daß sie alle mutig sterben. In einigen Fällen war es so, doch es ist nicht die Regel. Es sei denn, man wollte ihre Stupidität mit Stoizismus verwechseln, ihre Kälte der Verrohung mit der Verachtung des Lebens. Sie sind größtenteils feige und besitzen sämtliche Attribute der Feigheit, am meisten die Grausamkeit.
Wir wollen Sie, meine Herren, nicht mit den Grausamkeiten in Schrecken versetzen, die die Briganten gegen die Unglücklichen verüben, die ihnen in die Hände fallen. Eher als Werk menschlicher Wesen scheinen diese Grausamkeiten das Werk von Kannibalen oder wilden Tieren zu sein. Zuweilen hat ihre Unmenschlichkeit einen solchen Grad erreicht, daß sie ihre eigenen Genossen erzittern läßt, und man erzählt sich von einem gewissen Cerritacchio, den Caruso selber umbringen ließ, weil er mit allen Mitteln der Zerfleischung ein armes Mädchen gefoltert hatte.
Nicht einmal der Tod ihrer Opfer befriedigt und ermüdet die Grausamkeit
der Banditen, die den Blutdurst, der sie befallen hat, noch an Leichen
zu stillen trachten. Die Feigsten unter ihnen sind die Grausamsten: So
ein gewisser Coppa, der bei Crocco ist, und ein gewisser Varanelli aus
der Bande von Caruso. Weniger nach Blut dürsten Schiavone und Coppolo-ne.
Die Briganten sind dem Laster jeglicher Geilheit und Schändlichkeit verfallen,
bereit zu jedem Verbrechen: sie trinken Blut und
essen Menschenfleisch. -
Parlamentarischer (norditalienischer) Untersuchungsbericht von 1863, nach:
Peter O. Chotjewitz / Aldo de Jaco, Die Briganten. Aus dem Leben süditalienischer
Rebellen. Berlin 1979
Brigant (2) Chiavones Charakter war dunkel, grausam und wild. Sein Äußeres galt als rauh und bitter. Doch hatte er etwas Nachdenkliches in seinem Gesicht, das nicht unattraktiv war und ihm den Anschein eines ungewöhnlichen Menschen gab, dessen Denken nicht so beschränkt war, wie es schien.
Es heißt, er sei 30 oder 32 Jahre alt gewesen. Er war ziemlich
groß, und sein Gesicht wäre nicht unsympathisch gewesen, wenn er nicht
immer so finster gewesen wäre und nicht den ruhelosen Blick eines Mannes
gehabt hätte, der ständig in der Angst lebt, von seinen Untergebenen ermordet
zu werden. Schnurrbart und Backenbart biond. -
Peter O. Chotjewitz / Aldo de Jaco, Die Briganten. Aus dem Leben süditalienischer
Rebellen. Berlin 1979
Brigant (3)
Brigant (4)
Gian dei Brughi lag auf seiner Ruhestätte; die struppigen roten Haare
voller trockener Blätter hingen ihm über die Stirn, die grünen Augen röteten
sich durch die Anstrengung, und so las er und las, während er die Kinnbacken
beim eifrigen Buchstabieren bewegte und einen mit Spucke benetzten Finger in
die Höhe hielt, um gleich die nächste Seite umwenden zu können. Während der
Lektüre Richardsons zerschmolz er gleichsam in einem Verlangen, das schon
seit geraumer Zeit in seiner Seele geschlummert hatte: in der Sehnsucht nach
einem regelmäßigen und häuslichen Tageslauf, nach verwandtschaftlichen Beziehungen,
nach Familiengefühlen, nach Tugend und Abscheu vor den Bösen und Lasterhaften.
Seine ganze Umgebung interessierte ihn nicht mehr und erfüllte ihn mit Widerwillen.
Er verließ seine Höhle nur noch, um zu Cosimo zu laufen und ein Buch umzutauschen,
vor allem, wenn es sich um einen mehrbändigen Roman handelte und er erst die
Hälfte der Geschichte gelesen hatte. So führte er ein absonderliches Leben,
ohne sich darüber klar zu sein, welch einen Groll er entfesselt hatte - sogar
unter den Bewohnern des Waldes, die einstmals seine treuen Komplicen gewesen
waren, es nun jedoch satt hatten, einen untätigen Briganten in ihrer Mitte zu
haben, der den ganzen Schwärm der Häscher auf sich zog. - Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen.
München 1984 (zuerst 1957)
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