Brieftasche  »Also: sie haben seinen Esel mitten auf dem Weg getroffen, mit dem ganzen Ramsch und seinen Habseligkeiten und den Packen und allem.«

»Und der Jude? War der tot?«

»Oh, viel besser! Der Jude war aufgefressen. Eine Boa hatte ihn verschluckt.« - .

»Nicht möglich.« 

»Doch. Wie gesagt, als die Kameraden vorhin von der Arbeit heimgingen, stießen sie auf den Esel des Hausierers; vom Juden selber aber keine Spur. Da haben sie sich gewundert. Sie haben ihn gerufen, sie haben sich auf die Suche nach ihm gemacht. Das Gras ringsherum war geknickt - das war die Spur einer großen Boa. Da wunderten sie sich noch mehr als zuvor. Denn der Esel stand mit der Ware auf dem Rücken da und rührte sich nicht. Und da mußten sie auf einmal lachen. Sieh mal an, sagten sie, der Boa war also der Jude lieber. Das ist ja 'n Ding! So was hatte man noch nie erlebt! Im Busch gibt es einen Tümpel. Sie sind losgerannt. Sie haben die Boa rasch gefunden. Sie hatte sich schon eingerollt und war eben am Einschlafen. Das feiste Leckermaul konnte sich nicht rühren. Es hatte eine riesige Kugel in der Kehle. Das war der Jude. Der arme Jude. Da haben sie ihr den Kopf abgeschlagen, und der Jude ist zum Vorschein gekommen, aber du guter Gott, in welchem Zustand! Wie ausgekotzt! Aber in diesem Brei schwamm ein kleines viereckiges Ding, Herr, und das war die Brieftasche des Juden. Fünfzehn Contos! Darum also wird heute gesungen und gesoffen. Alle sind blau. Alles feiert. Jeder trinkt auf das Wohl des Juden. Keiner arbeitet mehr. Sie tanzen im Kreis herum.

Den Juden haben sie gleich begraben, den Armen, aber die Boa ist im Triumphzug auf die Fazenda geschleppt worden.«

Und in der Tat: Als ich in der Nacht in Congona ankam, tanzten die Neger der Plantage um ein großes Feuer. Überall Gesang und Freudengeschrei, Gargalhadas und Musik. Die Boa war auf einem Weidengeflecht ausgespannt: ein Ungeheuer von zwanzig Meter Länge und achtzig Zentimeter Umfang. Ihre Haut teilten die Neger untereinander auf, da sie angeblich Glück bringt. Auch ich habe mein Stück bekommen. Des Juden gedachte man nur, um auf sein Wohl zu trinken.   - (cend)

Brieftasche (2)  Wir gingen in einer engen Straße.
Die Straße war leer.
Vor uns ging jemand.
Ich fragte Jaki, wieviel Geld er noch hat.
Er hatte noch 70 Mark.
Ich sagte, damit kommen wir nicht weit, und verlangte seine Pistole.
Ich nötigte damit einen männlichen Passanten in einen Hinterhof. Raus mit dem Zaster! Er zog die Brieftasche. Ich gab sie Jaki. Zähl!
Jedenfalls 4 Tausender, sagte Jaki.
Das wird euch teuer zu stehen kommen, sagte der Passant.
Ich befahl Jaki, ihm die Brieftasche wieder zu geben, da sie ihm sicher wertvoller sei als das Geld.
Wir fesselten ihn an eine Dachrinne und knebelten ihn.
Über uns im dritten Stock wurde ein Fenster geöffnet, jemand hustete fürchterlich ins Freie und konnte nicht aufhören.
Wir teilten das Geld und trennten uns.  - Herbert Achternbusch, L'Etat c'est moi. Frankfurt am Main 1972
 
 

Tasche Geld

 

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