riefmarke
Ich erklärte ihr, daß die Briefmarken einen Wert haben, wenn sie alt sind und
wenn sie selten sind, und wenn eine Briefmarke alt wird, so wird sie gleichzeitig
auch selten, weil viele andere Exemplare verloren gehen; aber es gibt auch seltene
Briefmarken, die nicht alt sind wie diejenige von San Marino, auf die ein Rotkehlchen
mit einem Papageienschwanz gedruckt ist, und es gibt auch alte Briefmarken,
die nicht selten sind wie die ersten englischen One-Penny-Emissionen. Ein Geheimtip
wäre, sie zu behalten und zu warten, bis sie alt und gleichzeitig selten werden.
Dabei wirst aber auch du alt, sagte Miriam und hatte recht damit; aber man
wird ja auf jeden Fall alt, bis man sich ganz verflüchtigt; seit einiger Zeit
sprach man von nichts anderem. Ein häßlicher Tod für den armen Papst, sagte
ich, begriff aber sogleich, daß Miriam keine Sympathie für ihn hatte. In Rom
sterben im Durchschnitt neunzig Personen an einem Tag, sagte sie, und niemand
merkt es. Du gehst durch die Straßen und siehst Menschen, die lachen und spazieren.
Und keinem kommt in den Sinn, daß in der Stadt neunzig Personen am Sterben sind.
Wenn du daran denkst, so mußt du eine Anstrengung machen, um daran zu glauben,
man muß die Toten sehen, um daran zu glauben. Neunzig Tote, das ist viel, sagte
ich, aber wenn du dich nicht nur auf Rom beschränkst, so sind es bald neunhundert
und neuntausend. Auch neunzigtausend, sagte Miriam. Neunzigtausend Tote sind
sehr viel. - Luigi Malerba, Die Schlange. München 1992 (zuerst
1966)
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