rennen  Der Matrose blieb  unsichtbar in seiner Koje liegen, die sich im äußersten Winkel des Vorderkastells beim Bugsprietbeting, zwei starken, in den Schiffskiel eingefügten Holzbalken, befand. Ein paar Stunden später bemerkte einer der Männer im Vorderkastell einen seltsamen Geruch, den man auf eine tote Ratte zurückführte, die sich vielleicht in den Hohlräumen zwischen den Seitenplanken befand, denn einige Tage vorher hatte man das Schiff ausgeräuchert, um das überhandnehmende Ungeziefer auszurotten. Um Mitternacht zog die Backbordwache, zu der ich gehörte, auf, und kaum waren alle wach, als sie sich über den unerträglichen Geruch beklagten, der durch das Schwappen des Bilgenwassers infolge des Rollens des Schiffes noch verstärkt wurde.

»Hol der Teufel die Ratte!" rief der Grönländer.

»Die hat er schon geholt!" sagte Jackson, der in Unterhosen zu Miguels Koje hinübergegangen war. „Das ist 'ne Wasserratte, Kameraden, die tot ist, und hier liegt sie." Damit zog er den Arm des Matrosen heraus und rief: „Tot wie 'n Stück Holz!"

Daraufhin stürzten die Männer zu der Koje hin. Max mit dem Licht, das er dem Mann vors Gesicht hielt.

„Nein, der ist nicht tot", rief er, als die gelbe Flamme einen Augenblick lang vor dem starren Mund des Matrosen hielt. Aber kaum war das Wort gefallen, als zum stummen Entsetzen aller zwei grünliche Feuerfäden wie eine gegabelte Zunge zwischen seinen Lippen hervorschossen, und im Augenblick war das leichenhafte Gesicht von einem Schwärm wurmartiger Flammen bedeckt.

Max fiel die Lampe aus der Hand und verlosch. Währenddessen brannten die unbedeckten Teile des vor uns liegenden Körpers, völlig von Flammenspitzen und Funken übersät, die in der Stille leise knisterten, genau wie ein phosphoreszierender Hai in der mitternächtlichen See.

Die Augen waren starr geöffnet, der Mund kraus verzogen und alle Züge fast wie im Leben, während das ganze Gesicht, jetzt von flackernden blauen Flammen umgeben, einen Ausdruck grimmiger Verachtung und des ewigen Todes trug: Prometheus am Felsen, vom Feuer verzehrt.

Der eine Arm, dessen roter Hemdärmel hochgekrempelt war, trug den rötlich tätowierten Namen des Mannes bei der Höhlung des Ellenbogengelenks, und so, als enthalte das gefärbte Fleisch hier etwas Besonderes, brannte jeder Buchstabe zitternd weiß, daß man den Namen auf dem flackernden blauen Grund lesen konnte.

„Wo steckt denn nun der verdammte Miguel?" klang die Stimme des Maats durch das Luk zu uns herab. Er war gerade auf Deck gekommen und wollte jeden Mann seiner Wache oben haben.

„Der ist in den Hafen eingelaufen, wo sie keinen Anker mehr hieven!" keuchte Jackson. „Kommen Sie selbst, Sir, und sehen sich das an!"

In der Meinung, Jackson wolle ihn foppen, sprang der Maat voller Wut herab. Beim Anblick des brennenden Körpers aber fuhr er zurück, wie von einer Kugel getroffen. „Mein Gott!" rief er und hielt sich an der Leiter fest.

„Pack an!" sagte Jackson schließlich zu dem Grönländer, „der muß über Bord. Steh nicht da und zittre wie ein Hund, pack an, sag ich. Aber stop!" Damit erstickte er alles mit der Bettdecke und zog den Körper ein Stück weit aus der Koje heraus.

Ein paar Minuten später fiel er aufspritzend in die phosphoreszierend funkelnde nächtliche See und zog, während er versank, ein flimmerndes Kielwasser hinter sich her.  - Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. München 1967 (zuerst 1849)

Brennen (2)  »Gibst du ein Zeichen?« Unbeholfen nahm sie eine Klinge zwischen die Finger.

»Ich zähle bis drei.« Ich nahm die andere Klinge.

»Ich bin bereit«, erklärte sie tapfer und reckte das Kinn in die Höhe.

»Eins. Zwei. Drei!«

Wir taten nichts. Wir standen einfach da und schauten einander an.

»Es hat keinen Zweck, Harry. Ich kann es nicht selber tun.« Wütend warf sie die Klinge auf den Tisch und wandte sich ab. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Ihr Rücken zuckte krampfhaft.

»Willst du, daß ich es tue?« fragte ich sie.

Sie nickte kaum merklich mit dem Kopf, aber sie sagte nichts. Ich riß ihr die linke Hand vom Gesicht, und mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung schnitt ich blindlings in ihr Handgelenk. Sie stieß einen scharfen Schrei aus, preßte dann die Lippen zusammen und streckte den anderen Arm aus. Ich schnitt schnell, dicht unter dem Handballen, hob sie dann auf und trug sie zum Bett. Ich schob ihr das Kopfkissen unter dem Kopf zurecht.

»Tut es sehr weh?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es brennt ein bißchen; das ist alles.« Ihre Augen waren geschlossen, aber sie weinte immer noch tonlos. Das hellrote Blut quoll ihr aus den Handgelenken und sammelte sich zu karmesinroten Pfützen auf dem weißen Bettzeug. Ich nahm die blutige Klinge vom Tisch, wo ich sie hatte fallen lassen, kehrte zum Bett zurück und setzte mich. Mir selbst die Pulsadern aufzuschneiden, war viel schwieriger. Die Haut war irgendwie zäher, und ich mußte sie mit der Klinge gleichsam durchsägen. Mein Herz klopfte so laut, daß ich seinen Pulsschlag durch meinen ganzen Körper fühlen konnte. Ich hatte Angst, es zu vollbringen, und ich hatte Angst, es nicht zu vollbringen. Endlich schäumte das Blut aus meinem linken Handgelenk, und ich nahm die Klinge in die andere Hand. Das rechte Handgelenk bereitete mir weniger Mühe, obwohl ich Rechtshänder bin. Es tat nicht annähernd so weh, wie ich erwartet hatte, aber es war ein sengendes, brennendes Gefühl, als hätte ich mit den Handgelenken aus Versehen einen heißen Schürhaken berührt. Ich warf die Klinge auf den Boden und legte mich zu Heien ins Bett. Sie küßte mich leidenschaftlich. Ich fühlte, wie mir das Leben aus den Handgelenken rann, und das machte mich glücklich und aufgeregt.   - Charles Willeford, Sperrstunde. Berlin Frankfurt am Main 1992

 

Feuer

 

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