Brennbarkeit

 Brennbarkeit (2)

- René Magritte [?]

 Brennbarkeit (3)   Ich beobachtete voller Staunen, wie wenig sich das Verhältnis zwischen dem Umfang des Werkes eines bestimmten Autors und der Leuchtkraft und Dauer der Verbrennung voraussagen ließ. So gab es zum Beispiel keinen einzigen Quartband aus dem letzten Jahrhundert — geschweige denn aus dem gegenwärtigen —, der es in diesem Punkt mit einem kleinen goldverzierten Kinderbuch, den «Melodien der Mutter Gans», hätte aufnehmen können. Das «Leben und Sterben des Tom Thumb» überdauerte die Biographie Marlboroughs. Ein Heldenepos — nein, gleich ein Dutzend davon — wurde zu weißer Asche, ehe noch das einzelne Blatt einer alten Ballade zur Hälfte verzehrt war. In mehr als einem Fall brachten dicke Bände mit hochgerühmten Versen nicht mehr zustande als erstickenden Qualm, während das unbeachtete Lied eines namenlosen Sängers, das vielleicht in der Ecke einer Zeitung stand, zu den Sternen empor schwebte, getragen von einer Flamme, die nicht weniger leuchtete als diese. Was die Eigenschaften der Flamme angeht, so schien mir Shelleys Dichtung ein reineres Licht auszusenden als nahezu alle anderen Werke seiner Zeit; es bildete einen schönen Gegensatz zu den unregelmäßigen und gespenstischen Strahlen und Rauchschwaden, die von den Banden Lord Byrons hervorgingen und hochwirbelten. Und einige Gedichte von Tom Moore verbreiteten einen Duft wie von brennenden Räucherkerzen.

Mit besonderem Interesse beobachtete ich die Verbrennung amerikanischer Schriftsteller, und mit der Uhr in der Hand notierte ich mir, wie lange die meisten von ihnen brauchten, um sich aus schäbig gedruckten Büchern in gleichförmige Asche zu verwandeln. Es wäre allerdings gehässig, wenn nicht gefährlich, diese furchtbaren Geheimnisse zu verraten, so daß ich mich mit der Bemerkung begnüge, daß es nicht immer der am meisten beredete Autor war, der auf dem Scheiterhaufen den glänzendsten Eindruck machte. Im besonderen erinnere ich mich, daß sich ein schmaler Gedichtband von Ellery Channing als außerordentlich leicht entflammbar erwies, obwohl, die Wahrheit zu sagen, einzelne Partien auf sehr unangenehme Weise zischten und spuckten. Ein merkwürdiges Phänomen zeigte sich bei verschiedenen einheimischen und ausländischen Schriftstellern. Ihre Bücher gingen, obgleich sie höchst ansehnlich wirkten, nicht in Flammen auf oder schieden ihren Geist in schwelenden Rauch aus, sondern schmolzen plötzlich dahin, als ob sie aus Eis bestanden hätten.   - Nathaniel Hawthorne, Das Brandopfer der Erde. In: N. H., Das große Steingesicht. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel 9, Hg. Jorge Luis Borges)

 

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