Braut, falsche    Wenn das Schneeglöckchen seine Blüten in den Wind stellt, die Amsel nach Monaten ihr Schweigen bricht, dann wühlen sich die Erdkröten aus ihren dunklen Winterschlafverstecken, um ins Geißbauerntal zu wandern, wo auf dem feuchten kleinen Turnierplatz bei der alten Kastanie die männlichen Vertreter dieser unscheinbaren Amphibienart mit Balgen und Boxen die traditionelle Balz eröffnen. Es gilt, einem der ihnen zahlenmäßig unterlegenen Weibchen zu imponieren, seinen Rücken zu erobern, um dann von ihm über den Krötzerpaß in den Eierbefruchtungsweiher getragen zu werden. Hat einer der Kämpfer endlich sicher Platz gefunden, beginnt das Weibchen ohne Umschweife seinen beschwerlichen Gang. Ein Brautpaar nach dem anderen verläßt den Turnierplatz, doch wenn das letzte Weibchen mit seinem lebenden Rucksack verschwindet, bleibt eine nicht geringe Zahl raufender Junggesellen zurück, die oft erst nach Stunden merken, daß nichts mehr da ist, um das es sich zu kämpfen lohnt. Nach altem Brauch üben sie sich dann in der Disziplin des Langlaufs, wobei sie die männchenbeschwerten Weibchen mühelos überholen. Sind die Brautpaare endlich im Ziel eingetroffen, schwimmen und tauchen unsere Sportsfreunde auf der sinnlosen Suche nach ledigen Weibchen längst darin umher, wobei sie in wollüstigem Verlangen wie blind auf jede Schwingung im Wasser reagieren.

Gemütlich kauend blubbert ein fetter Karpfen durch die Binsen und summt in Gedanken ein kleines Wiegenlied, als die geile Meute heranschießt. Sein sachter Flossenschlag reicht brunftinfiziertem Kröterichinstinkt, ihn für eine weibliche Kröte zu halten. Schon wird er heftig bedrängt, aber glatt sind Haut und Schuppen, so glatt, daß die Junggesellen keinen Halt finden und abgleiten, als der Fisch irritiert das Weite sucht. Unbeirrt nehmen sie die Verfolgung auf und stellen ihn in der Sackgasse beim alten Sielgitter, wo er stoisch ihre ungestümen Besteigungsversuche duldet. Dumpfer Karpfen Instinkt sagt ihm gerade, daß von diesen glitschigen Gesellen keine wirkliche Gefahr ausgehe, da ist urplötzlich Nacht um ihn. Die Zehensaugnäpfe eines Kröterichs kleben an seinen Augenrändern, die Sohlen drücken seine Augen tief in deren Höhlen, versperren ihm jede Sicht. Er will den Störenfried abstreifen, versucht ihn abzuschütteln. Vergeblich, denn jetzt haben dessen Fingerkuppen sich an seiner Oberlippe festgesogen. Traktiert von eifersüchtigen Nebenbuhlern preßt der Kröterich seinen Bauch mit aller Kraft an die Karpenfstirn und sein entschlossener Blick signalisiert: Das hier ist meine Braut, von der trennt mich niemand und nichts auf der Welt!    - Sankt Gallener Biologiebuch von 1928, nach (bestp)

Braut

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