Branntweinverbrennung    «Der Geruch versengter Kleider ist hier nicht zu ertragen», versetzte mein neuer Bekannter, als der Wind uns in den Rauch einer königlichen Garderobe einhüllte. «Entfernen wir uns aus dem Wind und sehen wir uns einmal an, was sie auf der anderen Seite des Feuers machen!»

Wir gingen also um das Feuer herum und kamen gerade rechtzeitig, um die Ankunft einer langen Prozession von Washingtonern — so nennen sich die Verfechter der Enthaltsamkeit heutzutage - mitzuerleben, die begleitet waren von Tausenden der irischen Anhänger Pater Mathews, welcher große Apostel ihren Zug anführte. Sie leisteten einen reichen Beitrag zum Freudenfeuer, der in nichts Geringerem bestand als sämtlichen Branntweintonnen und -fässern der Welt, welche sie über die Prärie vor sich her rollten.

«Und jetzt, meine Kinder», rief Pater Mathew, als sie den Rand des Feuers erreicht hatten, «nur noch einen einzigen Schub, und das Werk ist getan! Dann wollen wir zurücktreten und zuschauen, wie Satan mit seinem eigenen Branntwein verfährt!» Also zog sich die Prozession, nachdem sie ihre hölzernen Behälter in Reichweite der Flammen abgestellt hatte, in eine sichere Entfernung zurück und sah zu, wie sie sehr bald in einer Lohe zerbarsten, die bis zu den Wolken emporschoß und den Himmel selbst in Brand zu stecken drohte. Und das hätte durchaus geschehen können. Denn hier war der Vorrat an geistigen Getränken aus der ganzen Welt vereint, und statt wie vormals ein irres Leuchten in den Augen des einzelnen Trinkers zu entzünden, stieg er nun mit einem sinnverwirrenden Feuerschein, der die gesamte Menschheit aufschreckte, in die Luft empor. Es war der Zusammenschluß all der wilden Feuer, die sonst die Herzen von Millionen versengt hätten. Unterdessen wurden unzählige Flaschen edlen Weins in die Glut geworfen, die den Inhalt verzehrte, als ob sie ihn liebte, und wie alle Trinker immer fröhlicher und hitziger wurde, je mehr sie trank. Nie wieder wird der unersättlich durstige Feuerteufel dergestalt verwöhnt werden! Hier kamen die Schätze berühmter Lebemänner zusammen — Spirituosen, die auf dem Ozean geschaukelt worden waren und m der Sonne heranreiften und lange im Innern der Erde lagerten - der blasse, der goldene, der rötliche Saft der vorzüglichsten Rebenhänge - die gesamte Tokajer Weinernte -, alle vereinigten sich zu einem einzigen Strom mit dem Fusel der ordinären Kneipen und bewirkten, daß die Flammen hoch empor schlugen. Und während sie wie ein riesenhafter Turm aufstiegen, der bis an das Gewölbe des Firmaments heranzureichen und sich im Licht der Sterne zu verlieren schien, johlte die Menge, als frohlocke das weite Erdenrund über seine Erlösung von einem uralten Fluch.

Doch die Freude war nicht allgemein. Viele befürchteten, das menschliche Leben werde düsterer sein als je zuvor, sobald das kurze Feuerwerk in sich zusammengesunken sei. Während die Reformer am Werk waren, vernahm ich die gemurmelten Proteste mehrerer ehrenwerter Herren mit roten Nasen und Gichtschuhen, und ein zerlumpter Ehrenmann, dessen Gesicht einem erloschenen Kaminfeuer glich, äußerte jetzt unverhohlener und kühner seine Unzufriedenheit.

«Wozu taugt denn diese Welt noch», sagte der treffliche Zecher, «wenn wir nie mehr fröhlich sein können? Womit soll sich der arme Mann in seinem Leid und Kummer trösten? W'ie soll er sein Herz warmhalten vor den kalten Winden dieser freudlosen Erde? Und welchen Ersatz bietet ihr ihm für die Erquickurig, die ihr ihm raubt? Wie sollen alte Freunde am Kamin beisammensitzen, wenn die Gläser nicht mehr lustig klingen? Die Pest hole eure Reform! Das ist eine traurige Welt, eine gemeine Welt, in der sich für einen ehrlichen Kerl das Leben nicht mehr lohnt, nachdem die alte Gemütlichkeit für immer dahin ist!»    - Nathaniel Hawthorne, Das Brandopfer der Erde. In: N. H., Das große Steingesicht. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel 9, Hg. Jorge Luis Borges)

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