Brandblase   Wir hatten miteinander geschlafen; sie, um mich nicht durch eine Ablehnung zu brüskieren, und ich in einer Art verbissener Verzweiflung. Doch die Ekstase von früher . . . aus, vorbei. Irgend etwas war verlorengegangen — das Fieber, das brennende Bedürfnis, sich gegenseitig zu durchdringen . . . Etwas, für das es einfach keine Worte gab, das unsere Körper mit Wärme erfüllte — eine Art Gott, den wir in uns eingefangen hatten. Jetzt hingegen belauerten wir uns gegenseitig, wenn wir uns einander hingaben. Ich merkte, daß sie sich Mühe gab, mich zu befriedigen; ich dagegen hatte Lust, sie zu verwunden, sie irgendwie zu treffen, ihr so lange den Hals zuzudrücken, bis wie früher der Wahnsinn in ihre Augen trat. Sie betrog mich schon allein dadurch, daß sie zu sehr bei Sinnen war. Wir wurden schmutzig in dem Maße, wie wir nicht mehr den Kopf verloren. Ja, das war der richtige Ausdruck.

Unsere Maßlosigkeit, das ständige Begehren und Suchen nach dem anderen waren sauber gewesen. Jetzt dagegen hatten unsere Umarmungen einen üblen Beigeschmack. Aber den Schein wahrten wir noch, ja ... Denn von der Leidenschaft war uns eines übriggeblieben: eine perfekte Technik von Küssen und Liebkosungen — und ein Schweigen, das früher erfüllt gewesen war und das wir jetzt lieber gar nicht erst brachen. Meine Hand glitt über ihren Körper hinweg, über die Wölbung ihrer, wie ich meinte, entweihten Brüste und verweilte einen Augenblick auf ihrem Bauch; ich konnte tun, was ich wollte, ich war kein Liebhaber mehr, sondern ein praktischer Arzt, der nach .der Spur anderer Hände sucht, mit verbissener Genauigkeit alles abtastet — eine unbekannte und verdächtige Haut abschnittweise erforscht. Plötzlich fuhr ich mit den Fingern über eine Art Pickel, ein Bläschen, ganz in der Nähe der Schenkelbeuge. Ich machte das Licht an. „Mach aus", sagte Mathilde aufgebracht. „Das blendet mich." „Sei still, rühr dich nicht!" Ich kauerte mich neben sie. Ihre Nacktheit ließ mich jetzt völlig kalt. Ich riß ihr brutal die Beine auseinander und beugte mich über die Stelle. Sie hatte den Kopf hochgehoben und verfolgte ein wenig ängstlich meine Bewegungen.

„Ach so, das da", sagte sie. „Da muß mich was gestochen haben." „An so einer Stelle! Na ja, wenn man bedenkt, daß du halb nackt herumläufst!" — Ich besah mir die Blase ganz aus der Nähe. Nein, ein Stich war das nicht; es war eine Brandblase — etwa zwei oder drei Tage alt. Der rote Hof, der sich rundum gebildet hatte, begann zu verschwimmen. Eine winzige braune Kruste hob sich scharf gegen die helle Haut ab ... Eine Verbrennung, die von einer glimmenden Zigarette stammte.  -  Boileau / Narcejac, Die trauernden Witwer. Reinbek bei Hamburg 1970

 

Blase

 

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