ombenangriff  Irgendwo wütete eine große Schlacht. Im grimmigen Kampf standen sich die feindlichen Parteien gegenüber. Es zuckte und blitzte und polterte, schön wie ein überwältigendes Gewitter. Auf beiden Seiten fielen die Leute wie die Fliegen. Geschrei füllte tausendfach die Luft. Und es war dunkel. Die Dunkelheit bedeckte gnädig die fürchterlich verstümmelten Leichen. Wenn aber die hellen Blitze der Kanonen aufleuchteten, sah man für wenige Sekunden die verzweifelten Menschen, welche irgendwo im Stacheldraht an der Hochspannungsleitung hingen und ihre wahnsinnigen Schmerzen in die Nacht hineinschrien. — Dort klebte auch mit beiden Händen am Starkstrom ein Mann und versuchte mit aller Kraft, aber vergebens, sich zu befreien. Er dachte nur fortzukommen, immer weiter, aber er konnte ja nicht. Stundenlang währte der Kampf, bis er sich in sein Schicksal ergab. »Und wenn ich hier sterben soll«, dachte er, »so helfe Gott meiner geliebten Marie. «

Zur gleichen Zeit aber war es, als Marie es fühlte, daß ihr geliebter Freund Karl den Tod der Ehre erleiden mußte im Felde. Sie riß das Fenster ihres Zimmers in der vierten Etage auf und schrie ihren Schmerz hinaus über die Dächer wie eine Wahnsinnige. Jedoch keiner achtete auf sie, denn es gab oft solchen Lärm in der Nacht, die Zeiten waren eben außerordentlich bewegt.

Plötzlich vernahm sie seine Stimme in der Luft. »Hörst du mich, Geliebte?«, fragte er. Wie eine eiskalte Hand legte sich ihr ein Schauer aufs Herz. Sie rannte in die Stube zurück, löschte die Lampe aus und legte sich auf ihr Bett. »Du hörst mich nicht?«, fragte er wieder. — »Ja ja, ich höre dich«, sagte sie leise, und mit Zärtlichkeit fügte sie hinzu: »Du bist jetzt bei mir. « — »Warum hörst du mich denn nicht?«, fragte die Stimme wieder verzweifelt.

»Aber ich höre dich doch, ich höre dich«, rief sie jetzt lauter und setzte sich aufrecht. »Marie, Marie«, klang es jetzt laut, »ich bin tot, ich bin gefallen auf dem Felde der Ehre, tot bin ich. Hör‘ mich doch, Gott soll dir helfen, ich kann es nicht, ich kann es nicht mehr, ich bin tot. « — Mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Innigkeit sagte sie: »Ich danke dir. « Dann aber verschwand die Stimme. »Wo bist du denn?«, rief Marie, »wo bist du? — Karl! — —— Ich höre dich nicht mehr!« Sie lauschte vergeblich. »So soll ich dich lassen? Ich kann es nicht, ich will es nicht. Wenn du nicht mehr lebst, was soll mir das Leben? Komm zurück, sei bei mir, Karl, ich kann nicht mehr ohne dich leben!« — Die Luft war stumm und blieb stumm. Marie eilte wieder ans Fenster. Die Nacht war abscheulich und schwül wie Blei. Fern rieselte es in der Luft. Da lehnte sie sich weit hinaus und schrie: »Er ist tot, Karl ist tot! Wißt ihr es nicht? Ihr sollt es alle wissen, Karl ist tot!« Sie rief es so laut, daß die Fenster sich öffneten und alle Frauen hinaussahen. »Er ist tot!«, rief sie weiter, »aber ihr lebt!« — »Er ist tot!«, antwortete es stumm. — »Er ist tot«, schrie es nun hier und da. — »Er ist tot«, rief schrecklich ein Chor von Menschen, und keiner ahnte, was dieser Tod für Marie bedeutete. Marie aber breitete beide Hände aus gegen den Himmel, wie wenn sie Geister beschwören wollte. Dann rief sie mit aller Macht ihrer Stimme: »Und ihr alle sollt sterben für ihn!« Dann trat sie hinaus in die leere Luft.

Die Frauen in den Fenstern, die noch eben einen grausamen Fluch auf den Lippen hatten, verstummten. Ihnen fror das Wort im Munde. Marie schritt aber wie auf einem unsichtbaren Pfad durch die Luft, dann eine Treppe hinauf, die man nicht sehen konnte. Zur Seite glimmte wie ein Geländer in leuchtendem Schein ein Licht. Am Himmel aber surrte es plötzlich von feindlichen Flugzeugen, und bald prasselten die Bomben herunter. Die Häuser zerbarsten, und eine riesige Feuersbrunst zerstörte alles. Weit oben aber im rosigen Schein stieg Marie in den leeren Raum, ohne Treppe, und nur das kleine verblassende Licht führte sie.

Oben aber auf der Höhe, wo es am tiefsten ist, wartete Karl.

Marie sah ihn nicht, sie fühlte ihn nur in unbeschreiblichem Glück. Sie fühlte, wie die Wolken sich teilten, wie unbekannte Strahlen sie leiteten, wie sie stand und fiel, ging und schwebte, ihm entgegen, immer näher und immer näher, wie im Plätschern der Fontäne, wie im Schein der Flamme, wie im Strahl des tiefblauen Lichts, wie in der Hand des guten Gottes, den wir alle ehrfürchtig anbeten, weil er alle unsere Zweifel löst. - Kurt Schwitters (1935)

Bombenangriff (2)  Hölle und Donner brechen los. Erst schießt die Flak. Grollend aus hundert Rohren. Dann schweigt sie still. Minutenlang hören wir vor angespanntem Lauschen nichts als das Keuchen unseres Atems. Dann heult es auf. Als pfiffe eine Sirene dicht hinter der Mauer. Huuuiiii! »Bomben!« stößt Andrik hervor. »Bomben über uns!« Wir sinken in die Knie. Wie reuige Sünder rutschen wir über den Fußboden. Dem Pfosten entgegen, der als einziger die Mauern des Hauses trägt. Huuuiiii! Fensterscheiben spritzen um uns herum. Schwarzgraue Staubmassen wirbeln durch die Luft. Rauch, Flammen, schwefelgelber Dunst. Andrik hält mich mit beiden Armen umklammert. Zwischen meinen Knien hockt Heike wie ein verängstigtes Vögelchen. »Heilige Maria? bitt für uns!« lallt es aus einer Ecke. Wir würgen, wir husten. Rechts brennt es, links brennt es. Von allen Seiten regnet es Feuer. Die Zeit steht still. Die Ewigkeit hat begonnen. Ein furchtbarer Knall. »Erbarm dich«, kreischt eine Frauenstimme. Steine kollern. Der Sturm drückt einen Wirbel von Funken durch die zersplitterten Fenster. Krampfhaft ringt Heike nach Luft. »Nimm ein Tuch vor den Mund!« rufe ich ihr zu. Wir liegen auf den Knien. Eine Stunde - zwei Stunden - drei Stunden. Sechzehn Minuten nach drei ist der Spuk zu Ende. Die Woh­nung mit Trümmern übersät. Wie brennende Segel bauschen sich die Gardinen im Feuersturm. Auf einer Matratze im Keller liegt Heike. Mit blauen Lippen und schlotternden Gliedern. »Mir ist so schlecht«, stöhnt sie. »So unbeschreiblich schlecht.« Ich fühle ihren Puls. Er jagt und zögert, hastet und stockt. »Rauchvergiftung«, sagt Andrik. Seine Stimme klingt barsch vor Sorge. »Hast du kein Herzmittel?« — »Nichts. Nur ein paar Stückchen Zucker.« — »Gib!« Hastig stopft er sie Heike in den Mund. — »Es wird mir schon besser«, lächelt sie dankbar. Bis zum Morgen stehen wir Brandwache. Funken löschen, Hausrat bergen. Treppauf, treppab. Treppab, treppauf.

Der Morgen kommt langsam. Läßt endlos auf sich warten. »Ob es in den anderen Stadtteilen ebenso aussieht?« Wir sehen nichts als Feuer. Sobald es hell wird, werden wir zusammen­packen, das Allernötigste — und uns auf den Weg machen. Heraus ... irgendwohin ... nur heraus aus dem Grauen! Aus diesem schwefelgelben Feuermeer. »In Hamburg sind sie nach vier Stunden wiedergekommen«, sagt jemand neben uns. Der Morgen ist da. Das heißt, es ist kein richtiger Morgen. Nur die Uhr zeigt an, daß es Tag sein muß. Wir sehen den Himmel nicht. Wir sehen die Sonne nicht. Wir sehen nur Rauch, schwarzwirbelnde Dunstmassen und die Riesenfackeln der brennenden Häuser. Durch die Albrechtstraße wälzt sich ein Flüchtlingsstrom. Über tausend Menschen stehen wie eine Mauer vor dem verschlossenen Gitter des Bahnhofseingangs. Einzeln werden sie bei jeder neuen Zugankunft durchgeschleust. Die Stunden rinnen. Zentimeterweise schiebt sich die Menge vorwärts. Schrillt nicht schon wieder die Sirene? Konmt ein neuer Alarm? Endlich sind wir auf dem Bahnsteig. Der Zug fährt ein. Wie Trauben hängen die Menschen aus den Türen. Hinein, was noch irgend hineingeht. Man drückt, man quetscht, von hinten pressen sie nach. Gottlob, wir sind im Wagen, wenn auch nur mit der Kante einer Fußsohle. Wer mit uns fährt, kommt aus der gleichen Hölle wie wir. Verrußt, verschmiert und tödlich erschrocken. - Ruth Andreas-Friedrich, Der Schattenmann. Tagebuchaufzeichnungen 1938-1945 Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1947)

Bombenangriff (3)  Die Schwester Oberin rief von der Treppe her:
- Das Licht muß aus. Wir sind sonst die ersten, die bombardiert werden. Licht aus, sag ich, die feindlichen Angriffsverbände sind über uns. Wir zeigen ihnen durch unser Licht nur den Weg. Wir ziehen da-durch die vorschriftsmäßigen Volksgenossen mit ins Unglück. Wollt ihr schuld sein, daß Bayern dem Erdboden gleichgemacht wird?

- Ich seh nichts mehr, weil alles finster ist, Mutterl, schrie der kleine Xaver.

- Dein einziges Mutterl kann uns Jetzt nicht mehr erretten. Dein Mutterl läuft jetzt in den Wald, da ist es am sichersten. In den Wald werfen sie keine Bomben. Die Rehe und die Schnecken brauchen nicht bombardiert zu werden.

- Wenn es im Wald Munitionsfabriken gibt, sind das strategisch wichtige Angriffsziele.

- Sei ruhig, weißt du, wer hinter der Wand steht? Vielleicht geht der Kriegel um und steht hinter der Wand und führt euch gleich ab.

- Wir müssen hier alle ohne dein einziges Mutterl krepieren.

- Uns kann nur die Heilige Mutter Gottes helfen, sagte der Joachim-Teufel.

- Odel und Alfred beteten das Ave.
- Hoffentlich bringen sie keine Sturzkampfbomber mit. Dann brauchen wir uns gar nicht erst anzuziehen.

- Der Feind hat gar keine Sturzkampfbomber. Verflucht, ich find meine Stiefel nicht, verflucht.

- Erwin, fluch nicht.

- Schwester Appia hat auch geflucht.

- Halts Maul. Fluch nicht, sag ich dir.

- Wenn Schwester Appia heute beim Angriff stirbt und das nicht vorher mit ihrem himmlischen Bräutigam in Ordnung bringt, wird sie morgen früh in der höllischen Pfanne hüpfen.   - Hubert Fichte, Das Waisenhaus.  Berlin 1985 (zuerst 1965)

Angriff Bombe 
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Bombardierung