ogenschütze 30
Schritte. Da schob ich den Bogen zwischen die Schenkel, krümmte ihn langsam,
hängte die Sehne ein und prüfte sie mit dem Finger : das klang wie helles Vogelzwitschern.
Und als ich den Kopf hob, siehe : da waren es 50 Schritte geworden. Und ich
sog die Brust voll Luft und befahl : »Absteigen ! Wir gehen weiter nach Süden
!« - Da zuckte Aemilianus lachend den Kopf über die Schulter zurück nach Mabsut,
und auch jener grinste amüsiert. Der neue Leiter warf verächtlich die markige
Römerhand in die Luft und rief, indem er den Kopf seines Tieres nach Norden
drückte : »Krepier, versoffnes Griechenschwein !« Langsam schritt die Karawane
davon. Ich wählte Beschars Pfeil; da verstummte der Wind. Noch einmal hielten
die Brüderlichen, genießerisch lässig gelehnt; und es waren nun 150 Schritt.
Da zog ich die Sehne an, an, durch, bis zur Brust, an — und ließ los ! Er wandte
just wieder das Haupt, gewiß formte sein Mund einen neuen gelungeneren Satz,
lächelte er nicht höhnisch ? - Da fuhr seine Hand zur Gurgel; er taumelte, wankte
im Sattel und ich sah, wie aus dem Genick blinkend die Silberspitze hervordrang..
- Arno Schmidt, Enthymesis oder W.I.E.H. (zuerst 1949) Zürich 1987
Bogenschütze (2, blinder)
Bogenschütze
(3, göttlicher, variantenreicher) Es belustigten
sich die sieben Söhne Amphions:
die einen bestiegen mutige Rosse, die andern erfreuten sich des Ringspieles.
Der Älteste, Ismenos, trieb eben sein Tier im Vierteltrabe sicher im Kreise
um, den schäumenden Radien ihm bändigend, als er plötzlich: wehe mir! ausrief,
den Zaum aus den erschlaffenden Händen fahren ließ und, einen Pfeil
mitten ins Herz geheftet, langsam rechts am Buge des Rosses heruntersank. Sein
Bruder Sipylos, der ihm zunächst sich tummelte, hatte das Gerassel des Köchers
in den Lüften gehört, und floh mit verhängtem Zügel, wie ein Steuermann vor
dem Wetter jedes Lüftchen in den Segeln auffängt, um in den Hafen einzulaufen.
Dennoch holte ihn ein durch die Lüfte schwirrender Wurfspieß
ein, zitternd haftete ihm der Schaft hoch im Genick und das nackte Eisen ragte
zum Halse heraus. Über die Mähne des Pferdes am gestreckten Halse herab glitt
der tödlich Getroffene zu Boden und besprengte die Erde mit seinem rauchenden
Blut. Zwei andere - der eine hieß wie sein Großvater Tantalos,
der andere Phädimos - lagen miteinander ringend, in fester Umschlingung Brust
an Brust verschränkt. Da tönte der Bogen aufs Neue und, wie sie vereinigt waren,
durchbohrte sie beide ein Pfeil. Beide seufzten zugleich auf, krümmten die schmerzdurchzuckten
Glieder auf dem Boden, verdrehten die erlöschenden Augen und hauchten im Staube
mit einem Atem die Seele aus. Ein fünfter Sohn, Alphenor, sah diese fallen:
die Brust sich schlagend flog er herbei und wollte die erkalteten Glieder der
Brüder durch seine Umarmungen wieder beleben, aber unter diesem frommen Geschäfte
sank auch er dahin, denn Phöbos Apollon sandte
ihm das tödliche Eisen tief in die Herzkammer hinein, und als er es wieder herauszog,
drängte sich mit dem Atem das Blut und das Eingeweide
des Sterbenden hervor. Damasichthon, den sechsten, einen zarten Jüngling mit
langen Locken, traf ein Pfeil in das Kniegelenk; und
während er sich rückwärts bog, das unerwartete Geschoß mit der Hand herauszuziehen,
drang ihm ein anderer Pfeil bis ans Gefieder durch den offenen Mund
hinab in den Hals, und ein Blutstrahl schoß wie ein Springbrunnen
hoch aus dem Schlunde empor. Der letzte und jüngste Sohn, der Knabe Ilioneus,
der dies alles mit angesehen hatte, warf sich auf die Knie nieder, breitete
die Arme aus und fing an zu flehen: «O all ihr Götter miteinander, verschonet
mich!» Der furchtbare Bogenschütze selbst wurde gerührt, aber der Pfeil war
nicht mehr zurückzurufen. Der Knabe sank zusammen. Doch fiel er an der leichtesten
Wunde, die kaum bis zum Herzen hindurchgedrungen war.
- (sage)
Bogenschütze (4) Es begab sich, daß König Ophioch eines Tages auf der Jagd in den rauhen verwilderten Teil des Waldes geriet, wo ein Turm von schwarzem Gestein, uralt wie die Schöpfung, als sei er emporgewachsen aus dem Felsen, hoch emporragte in die Luft. Ein dumpfes Brausen ging durch die Gipfel der Bäume, und aus dem tiefen Steingeklüft antworteten heulende Stimmen des herzzerschneidenden Jammers. König Ophiochs Brust wurde an diesem schauerlichen Ort bewegt auf wunderbare Weise, Es war ihm aber, als leuchte in jenen entsetzlichen Lauten des tiefsten Wehs ein Hoffnungsschimmer der Versöhnung auf, und nicht mehr den höhnenden Zorn, nein! nur die rührende Klage der Mutter um das verlorne entartete Kind vernehme er, und diese Klage bringe ihm den Trost, daß die Mutter nicht ewig zürnen werde.
Als König Ophioch nun so ganz in sich verloren dastand, brauste
ein Adler auf und schwebte über der Zinne des Turms.
Unwillkürlich ergriff König Ophioch sein Geschoß und drückte den Pfeil ab nach
dem Adler; statt aber diesen zu treffen, blieb der Pfeil stecken in der Brust
eines alten ehrwürdigen Mannes, den nun erst König Ophioch auf der Zinne des
Turms gewahrte. Entsetzen faßte den König Ophioch, als er sich besann, daß der
Turm die Sternwarte sei, welche, wie die Sage ging, sonst die alten Könige des
Landes in geheimnisvollen Nachten bestiegen und, geweihte Mittler zwischen dem
Volk und der Herrscherin alles Seins, den Willen, die Sprüche der Mächtigen
dem Volk verkündet hatten. Er wurde inne, daß er sich an dem Orte befand, den
jeder sorglich mied, weil es hieß, der alte Magus Hermod stehe, in tausendjährigem
Schlaf versunken, auf der Zinne des Turms, und würde er geweckt aus dem Schlafe,
so gäre der Zorn der Elemente auf, sie träten kämpfend gegeneinander, und alles
müsse untergehen in diesem Kampf. - E. T. A. Hoffmann, Prinzessin
Brambilla (zuerst 1820)
Bogenschütze (5) Philoktetes blieb in Lemnos und litt Schmerzen, bis Odysseus ihn durch eine List dazu brachte, ihm den Bogen und die Pfeile des Herakles zu geben. Aber Diomedes lehnte es ab, an dem Diebstahl teilzunehmen, und riet Philoktetes, die Rückgabe seines Eigentums xu verlangen. Jetzt mischte sich Herakles, der Gott, ein. «Ziehe mit ihnen nach Troia, Philoktetes», sagte er, «und ich werde einen Asklepiden senden, dich zu heilen; denn Troia muß ein zweites Mal durch meine Pfeile fallen. Du sollst von den Griechen als kühnster Kämpfer von allen auserwählt werden. Du sollst Paris töten, an der Eroberung Troias teilnehmen und die Beute heimsenden, aber den edelsten Preis für deinen Vater Poias zurückhalten. Doch denke daran: Du kannst Troia nicht ohne Neoptolemos, den Sohn des Achilleus, einnehmen, noch kann er dies ohne dich tun.»
Philoktetes gehorchte, und als er im griechischen Lager ankam, wurde er mit frischem Wasser gebadet und in Apollons Tempel schlafen gelegt. Als er schlief, schnitt .der Chirurg Machaon das faulende Fleisch von der Wunde, goß Wein darüber und legte heilende Krauter und den Schlangenstein darauf. Doch manche sagen, daß Machaons Bruder Podaleirios, der Arzt, sich des Falles annahm.
Kaum war Philoktetes wiederhergestellt, als er Paris zu einem Wettkampf im
Bogenschießen herausforderte. Der erste Pfeil, den er abschoß, verfehlte sein
Ziel, der zweite durchdrang die Bogenhand des Paris, der dritte machte sein
rechtes Auge blind, und der vierte traf sein Fußgelenk und verwundete ihn tödlich.
Trotzdem Menelaos versuchte, Paris zu töten, gelang es diesem, vom Kampffeld
wegzuhinken und in Troia Zuflucht zu suchen. In dieser Nacht trugen ihn die
Troer auf den Berg Ida, wo er seine frühere Geliebte, die Nymphe Oinone, bat,
ihn zu heilen. Aus einem tiefen Haß gegen Helena schüttelte sie grausam ihr
Haupt, und er wurde zurückgebracht, um zu sterben. Da erbarmte sich Oinone und
lief nach Troia mit einem Korb voll heilender Drogen, fand ihn aber bereits
tot. Von Sinnen vor Kummer sprang sie von den Mauern oder erhängte sich selbst
oder ließ sich auf seinem Scheiterhaufen verbrennen — keiner erinnert sich,
welche Todesart sie wählte. - (myth)
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