Börsenviertel  Alles schien sich um den großen Schrecken der Gegend zu drehen, der durch das genährt wurde, was ein phantasiebegabter Journalist die Sage von Laurent dem Würger genannt hatte. Wenn ich in einem bestimmten Augenblick Josianes Bild vor mir haben will, dann nur, um zu sehen, wie sie zusammen mit mir das Café in der Rue des Jeûneurs betritt, auf der Bank mit dem dunkelvioletten Plüsch Platz nimmt und ihre Freundinnen und Kunden begrüßt, ein paar Worte wechselt, die auf der Stelle zu Laurent fuhren, denn nur über Laurent wurde im Börsenviertel gesprochen. Und ich, der ich den ganzen Tag hindurch gearbeitet habe und zwischen dem Notieren zweier Kurse die Kommentare der Kollegen und Klienten zum letzten Verbrechen von Laurent ertragen mußte, frage mich, ob dieser stumpfsinnige Alptraum eines Tages ein Ende nehmen und ob alles wieder so sein wird, wie es meiner Meinung nach vor Laurent gewesen ist, oder ob wir bis ans Ende der Zeiten seine makabren Spaße erdulden müssen. Was am meisten beunruhigt (sage ich zu Josiane, nachdem wir Grog bestellt haben, der uns bei dieser Kälte und diesem Schnee so not tut), ist, daß wir nicht einmal seinen Namen wissen. Hier in der Gegend nennt man ihn Laurent, weil eine Kartenlegerin aus dem angrenzenden Clichy gesehen hat, wie der Mörder mit blutigem Finger seinen Namen auf die Kristallkugel geschrieben hat, und die Zeitungsleute hüten sich, den Instinkten der Öffentlichkeit zu widersprechen. Josiane ist nicht dumm, aber keiner könnte sie davon abbringen, daß der Mörder Laurent heißt, und es ist sinnlos, gegen den lüsternen Schrecken anzukämpfen, der in ihren blauen Augen flattert; diese beobachten jetzt verstohlen den Schritt eines jungen Mannes, der, sehr groß und ein wenig gebeugt, soeben eingetreten ist. Er lehnt sich gegen die Theke und grüßt nicht.

»Es ist schon möglich«, sagt Josiane und klammert sich an irgendeine beruhigende Überlegung, die mir wohl eingefallen ist, ohne daß ich etwas Bestimmtes damit gemeint habe. »Aber wenn ich allein nach oben in mein Zimmer gehen muß und mir der Luftzug zwischen zwei Etagen die Kerze ausbläst ... Ich darf gar nicht dran denken, im Dunkeln auf der Treppe zu stehen und daß vielleicht ...«

»Du gehst doch selten allein nach oben«, sage ich und lache.

»Du spottest, aber es gibt schlechte Nächte, gerade jetzt, wo es schneit oder regnet und ich um zwei Uhr morgens zurück muß.«

Nun folgt die Beschreibung Laurents, wie er geduckt auf dem Treppenabsatz oder, schlimmer noch, in ihrem Zimmer auf sie wartet, in das er mit Hilfe eines unfehlbaren Dietrichs gelangt ist.  - Julio  Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998

 

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