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Das erste war, daß ich ein Gelübde tat, am Montag keine der
zur Fastenzeit verbotenen Speisen zu essen, und Fleisch
überhaupt nie, und so kam denn im Lauf der Zeit eine Phantasie nach der andern
über mich. In der ersten Woche der großen Fasten darf
man nach der Vorschrift der heiligen Väter bis zum Sonnabend nichts Flüssiges
zu sich nehmen, jenen aber, die arbeiten oder schwach sind, wird es nicht als
Sünde angerechnet, wenn sie ein wenig Tee trinken, ich aber nahm bis zum Sonntag
keinen Tropfen in meinen Mund und gestattete mir auch wahrend der ganzen übrigen
Fastenzeit keinen Tropfen Öl, am Mittwoch aber und Freitag aß ich so gut wie
gar nichts. Genauso hielt ich es auch in der kleinen Fastenzeit. Während der
Petrifasten pflegten unsere Fabrikarbeiter eine Fischsuppe aus Zander zu essen,
ich jedoch hielt mich abseits und saugte an einein Zwieback. Ein jeder Mensch
hat verschiedene Kräfte, das weiß man, ich will jetzt nur von mir erzählen.
Die Fastenzeit fiel mir ganz und gar nicht schwer, es war sogar so, daß es mir,
je mehr ich mir Mühe gab, desto leichter wurde. Hunger hatte ich nur in den
ersten Fastentagen, nach und nach aber gewöhnte ich mich dran, es wurde mir
immer leichter, und wenn die erste Woche zu Ende ging, machte es mir keinerlei
Beschwerden mehr; in meinen Füßen hatte ich ein Gefühl, als ginge ich nicht
auf der Erde, sondern auf Wolken. Ich hatte mir außerdem noch allerhand andere
Pflichten auferlegt; ich erhob mich nachts, um Verbeugungen bis zur Erde zu machen,
ich schleppte schwere Steine von Ort zu Ort und ging barfuß im Schnee, und natürlich
trug ich auch Ketten. Einige Zeit darauf ging ich einmal zu einem Priester
beichten, und da kam plötzlich die Versuchung über
mich: Dieser Priester da, mußte ich denken, ist er nicht verheiratet und ein
Fleischesser und Tabakraucher?
Wie kann er wohl meine Beichte hören, und welche Macht hat er, mir meine Sünden
zu erlassen, wenn er noch sündiger ist als ich? Ich wage mich nicht einmal an
das Fastenöl heran, er aber hat sicher schon seinen Stör gegessen. So ging ich
denn zu einem anderen Priester, dieser aber war ausgerechnet sehr feist, er
trug ein seidenes Meßgewand und rauschte damit wie eine Dame und roch ebenfalls
nach Tabak. So wanderte ich denn zum Kloster, um mich dort zum Abendmahl vorzubereiten,
allein auch dort kam mein Herz nicht zur Ruhe, auch dort war mir immer, als
lebten die Mönche nicht nach der Vorschrift, Und so konnte ich denn bald darauf
keinen Ort finden, an dem mir der Gottesdienst zugesagt hätte: an der einen
Stelle ging es zu schnell, an der zweiten sangen sie gar was Falsches, an der
dritten war mit dem Mesner was los... Häufig kam es vor, der Herr verzeihe mir
die Sünde, daß ich in der Kirche stand und mein Herz vor Zorn bebte. Wie soll
einer dabei beten? Mir war, als bekreuzigten sich die Menschen in der Kirche
falsch und als hörten sie unandächtig zu; wen ich auch anblickte, alle waren
Säufer, Fleischfresser, Tabakraucher, Wollüstige, Kartenspieler; ich war der
einzige, der nach den Geboten lebte. Der listige Teufel war wach, je länger,
je mehr; ich hörte bald danach auf, im Kirchenchor zu singen, und ging schon
nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr in die Kirche; ich war zur Überzeugung
gekommen, daß ich ein gerechter Mensch sei, die Kirche aber stehe mir ihrer
Unvollkommenheit wegen nicht länger an. -
Anton Tschechow, Der Mord.
Nach (tsch)
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