ock
zum Gärtner Wenn ich an die Zeiten zurückdenke,
in denen ich neben dem Morphium auch Kokain genommen habe, so schaudert es mich
gelinde. Zugegeben, man lernt viel. Ich kann mich nicht mehr über Verrückte
wundern, die Stimmen hören, denn ich habe selbst Unsichtbare sprechen gehört.
Das war in Belgien. Ich wohnte in einem möblierten Zimmer, über einem Café;
dort mahlte ein mechanisches Klavier erbarmungslos uralte Schlager, gewöhnlich
bis um zwölf Uhr nachts. Der Arzt, der mir die Gifte verschrieb, wohnte in einer
Vorstadt und war selber Morphinist. Man kommt mit sonderbaren Leuten zusammen.
An jenem Abend hatte ich keine grössere Menge genommen als sonst, aber vielleicht
hatte sich das Gift in meinem Körper aufgespeichert. Kurzum, ich lag im Bett.
Da hörte ich deutlich vor meiner Zimmertür Leute reden: «Den werden wir uns
jetzt holen, das geht nicht mehr so weiter. Sein ganzes Geld gibt er für Rauschmittel
aus. Da müssen wir einen Riegel vorschieben.» Und unter meinem Fenster im Hof
hörte ich andere Leute, die sprachen: «Jetzt stellen wir vor sein Fenster ein
Fass, wenn er zum Fenster hinausspringen will, so fangen wir ihn ab.» Sie mögen
es mir glauben oder nicht: ich hatte nicht den Mut nachzusehen, ob die Leute,
die sprachen, auch wirklich vorhanden waren. Ich zog meine Sonntagskleider an,
schluckte sechs Gramm Veronal und schnitt mir mit einer Gilletteklinge die Pulsadern
auf. Das heisst, die Adern hab ich wohl nicht getroffen, sondern nur die Venen.
Denn am nächsten Tag bin ich aufgewacht, mein Bett war voll Blut, aber ich lebte
noch. Es war gerade Faschingsdienstag. Natürlich
brachte man mich ins Spital. Die Entwöhnung war unangenehmer als früher, denn
es kam noch eine Veronalvergiftung dazu. Ich bin dann in diesem Spital als Krankenwärter
geblieben und habe bald nachher wieder angefangen. - Friedrich Glauser,
Morphium und autobiographische Texte. Zürich 1980
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