lutrausch
Mit solch einem stichligen Fox habe ich schon Gletscherwege
gemacht; wir Menschen glatt auf den Skiern, er blutend, bis zum Bauch einbrechend,
vom Eis zerschnitten, und dennoch voll wilder, nie ermattender Seligkeit. Jetzt
hat dieser hier etwas aufgespürt; die Beine galoppieren wie Hölzchen, der Laut
wird ein Schluchzen. Merkwürdig ist in diesem Augenblick, wie sehr solche flach
auf dem Meer schwebende Insel an die großen Kare und Tafeln im Hochgebirge erinnert.
Die schädelgelben, vom Wind geglätteten Dünen sind wie Felsenkränze aufgesetzt.
Zwischen ihnen und dem Himmel ist die Leere der unvollendeten Schöpfung. Licht
leuchtet nicht über dies und das, sondern schwemmt wie aus einem versehentlich
umgestoßenen Eimer über alles. Man ist Jedesmal erstaunt, daß Tiere diese Einsamkeit
bewohnen. Sie gewinnen etwas Geheimnisvolles; ihre kleinen weichwolligen und
-fedrigen Brüste bergen den Funken des Lebens. Es ist ein kleiner Hase, den
der Fox vor sich hertreibt. Ich denke: eine kleine, wetterharte Bergart, nie
wird er ihn erreichen. Eine Erinnerung aus der Geographiestunde wird lebendig:
Insel — eigentlich stehen wir da auf der Kuppe eines
hohen Meerbergs? Wir, zehn bis fünfzehn lungernd zusehende Badegäste in farbigen
Tollhausjacken, wie sie die Mode vorschreibt. Ich ändere meinen Gedanken noch
einmal ab und sage mir, das Gemeinsame wäre nur die unmenschliche Verlassenheit!
Verstört wie ein Pferd, das den Reiter abgeworfen hat, ist die Erde überall
dort, wo der Mensch in der Minderheit bleibt; ja, gar nicht gesund, sondern
wahrhaft geisteskrank erweist sich die Natur im Hochgebirge und auf kleinen
Inseln. Aber zu unserem Erstaunen hat sich die Entfernung zwischen dem Hund
und dem Hasen verringert; der Fox holt auf, man hat so etwas noch nie gesehen,
ein Hund, der den Hasen einholt!
Das wird der erste große Triumph der Hundewelt! Begeisterung beflügelt den Verfolger,
sein Atem jauchzt in Stößen, es ist keine Frage mehr, daß er binnen wenigen
Sekunden seine Beute eingeholt haben wird. Da schlägt der Hase den Haken. Und
da erkenne ich an etwas Weichem, weil der harte Riß diesem Haken fehlt, es ist
kein Hase, es ist nur ein Häschen, ein Hasenkind.
Ich fühle mein Herz; der Hund hat beigedreht; er hat nicht mehr als fünfzehn
Schritte verloren; in wenigen Augenblicken ist die Hasenkatastrophe da. Das
Kind hört den Verfolger hinter dem Schweifchen, es ist müde. Ich will dazwischenspringen,
aber es dauert so lange, bis der Wille hinter den Bügelfalten
in die glatten Sohlen fährt; oder viellleicht war der Widerstand schon im Kopf.
Zwanzig Schritte vor mir — ich müßte phantasiert haben, wenn das Häschen nicht
verzagt stehenblieb und seinen Nacken dem Verfolger hinhielt. Der schlug seine
Zähne hinein, schleuderte es ein paarmal hin und her, dann warf er es auf die
Seite und grub sein Maul zwei-, dreimal in Brust und Bauch.
Ich sah auf. Lachende, erhitzte Gesichter standen umher. Es war plötzlich
wie vier Uhr morgens geworden nach durchtanzter Nacht. Der erste von uns, der
aus dem Blutrausch erwachte, war der kleine Fox. Er ließ ab, schielte mißtrauisch
zur Seite, zog sich zurück; nach wenigen Schritten fiel er in kurzen, eingezogenen
Galopp, als erwarte er, daß ihm ein Stein nachfliegen werde. - (
nach
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