Blumenungeheuer    E träumte von der Zusammensetzung einer anderen Flora.

Nach künstlichen Blumen, die die wirklichen nachäffen, wollte er natürliche, die falsche nachahmten.

Darauf lenkte er seine Gedanken; er brauchte nicht lange zu suchen, nicht weit zu gehen, denn sein Haus lag mitten im Lande der großen Blumenzüchter. Er stattete daher den Treibhäusern der Avenue de Chätillon und des Aunay-Tales einen Besuch ab und kam zerschlagen, mit leerem Beutel heim, entzückt von der Tollheit der Vegetation, die er erlebt, und nur an die Sorten denkend, die er erworben hatte, war er ununterbrochen verfolgt von der Erinnerung an sonderbare und herrliche Pflanzen. Zwei Tage spater kamen die Wagen.

Mit seiner Liste in der Hand rief Des Esseintes seine Erwerbungen eine nach der anderen auf und ging sie durch.

Die Gärtner hoben aus ihren Karren eine Sammlung von Caladien, die an gedunsenen, samtigen Stengeln gewaltige herzförmige Blätter trugen, sie wahrten alle eine gewisse Verwandtschaft miteinander, ohne sich zu wiederholen.

Es gab ganz ungewöhnliche darunter, etwa rosige, wie die Virginalis, die aus Wachstuch oder englischem Pflaster geschnitten zu sein schien; ganz weiße, wie die Alben, die aus der durchsichtigen Pleura eines Rindes oder einer diaphanen Schweinsblase hergestellt zu sein schienen; einige, wie Madame Marne, glichen Zink, parodierten gestanzte kaisergrüne Metallstücke, mit Ölfarbe betropft und mit Messing und Bleiweiß gefleckt; andere wieder, etwa der Bosphorus, täuschten gestärkten, karmesinrot und myrtengrün gesprenkelten Kattun vor, während die Aurora Borealis fleischfarbene, gedunsene Blätter mit purpurroten Streifen und violetten Fasern zeigten, die blauen Wein und Blut ausschwitzten.

Alban und Aurora stellten die extremen Temperamente dieser Pflanzen dar: Apoplexie und Bleichsucht.

Die Gärtner brachten noch neue Arten; diese glichen künstlicher, von falschen Adern durchfurchter Haut; die meisten waren wie von Syphilis und Aussatz zerfressen und hatten fahles, rötlich marmoriertes und von Flechten damasziertes Fleisch; andere wiederum waren rot wie frische Narben, die sich schließen, oder braun wie Schorf, der sich bildet; andere waren geschwollen wie Ätz- oder Brandwunden; noch andere wiesen eine haarige, wie von Geschwüren zerfurchte und von Schanker verwüstete Haut auf; manche schienen wie mit Pflastern bedeckt, überklebt von schwarzer oder grüner Salbe, darauf der gelbliche Glimmer des Jodoformpuders glänzte.

Miteinander vereinigt schienen diese Blumen Des Esseintes noch monströser als damals, da er sie, vermischt mit anderen, wie m einem Hospital hinter den Scheiben des Treibhauses überrascht hatte.

»Teufel, Teufel!« sagte er begeistert.

Eine neue Pflanze, ähnlich einer Caladium, die »Alocasia Metallica«, fiel ihm auf. Diese Blume war mit einer bronzegrünen Schicht bedeckt, über die silberne Reflexe glitten; sie war das Meisterwerk des Künstlichen: man könnte sagen, ein Stück Ofenrohr, von einem Schornsteinfeger zugeschnitten.

Dann luden die Männer rautenförmige, flaschengrüne Blätterbüschel ab; aus deren Mitte ragte ein Stengel, an dessen Ende ein großes Herz-As zitterte, rotlackiert wie eine Gewürzschote; wie um alle Pflanzenformen zu verhöhnen, sprang aus der Mitte dieses zinnoberroten Herzens ein fleischiger, wolliger, gelblichweißer Stiel, bei manchen gerade, bei anderen, ganz oben an der Blume, kor-kenzieherförmig gedreht wie ein Schweineschwanz.

Diese Pflanze, Anthurium genannt, war eine jüngst aus Kolumbien importierte Araceae; sie gehört zu einer Familie, aus der auch ein Gewächs aus Cochin-China stammt, ein Amorphophallus mit nschmesserförmigen Blättern auf langem, schwarzem Stengel, versehen mit Schmarren, so daß sie an Schmucknarben von Negern erinnerten.

Des Esseintes war begeistert.

Man hob eine neue Ladung von Ungeheuern aus dem Wagen: Echinopsis, die aus Wattebüscheln stumpfrosa Blüten emporreckten; Nidularia, die zwischen Säbelschneiden einen gähnenden Grund öffnen; »Tillandsia Lindeni«, weinmostfarben, gezackt, kratzeisenförmig; Cypripedia mit komplizierten, inkohärenten Umrissen, die ein wahnsinniger Erfinder entworfen zu haben schien. Sie glichen einem Holzpantoffel, über den sich eine menschliche Zunge mit gestrecktem Zungenband reckt, wie eine Darstellung aus einem Werk über Halskrankheiten; zwei kleine, brustbeerenrote Flügelchen, die von einer Kindermühle zu stammen schienen, vervollständigten diese barocke Zusammenstellung einer rötlichgrauen Zunge mit einem glänzenden Täschchen, dessen Futter klebrigen Leim durchsickern ließ.

Er konnte seinen Blick von dieser unwahrscheinlichen, aus Indien stammenden Orchidee nicht losreißen; die Gärtner, die diese Verzögerungen ärgerten, kündigten nun ganz von selbst mit lauter Stimme die Namen an, die sie von den an den Töpfen befestigten Etiketten ablasen.

Verwirrt hörte Des Esseintes die schroffen Namen der grünen Pflanzen: »Encephalartos horridus«, eine eiserne Riesenartischocke, rostrot gefärbt, wie man sie auf Schloßgittern anbringt, um das Überklettern zu verhindern; »Cocos Micania«, eine Art Palme, gezahnt und länglich, auf allen Seiten von hohen Blättern umgeben, die Rudern glichen; »Zamia Lehmanni«, eine ungeheure Ananas, ein wunderliches Chesterbrot, das in Heideboden gepflanzt und ganz oben mit gefiederten Wurfspießen und barbarischen Pfeilen bespickt war; das »Cibotium Spectabile«, das alle seine Geschwister und alle Träume durch seine wahnsinnige Struktur überbot: mitten aus Palmblättern wuchs ein riesenhafter Orang-Utan-Schwanz, ein zottiger, brauner Schwanz mit einem Haken am Ende, der dem Krummstab eines Bischofs glich.

Aber er betrachtete sie kaum, er wartete ungeduldig auf die Pflanzen, die ihn vor allem reizten: auf die fleischfressenden Pflanzen; auf den Fliegenfänger aus den Antillen mit faserigem Rand, der eine verdauungsfördernde Flüssigkeit absondert; mit krummen Dornen, die ineinandergreifen, sich gleich einem Gitterkorbe über dem gefangenen Insekt schließen; auf die Drosera der Moorebenen mit stacheligen, klebrigen Haaren bedeckt; auf die Sarracena, die Cephalothus, die gefräßige Hörner öffnet, fähig, wirkliches Fleisch zu verschlucken und zu verdauen; und schließlich auf die Nepenthes, deren phantastische Gestalt alle Grenzen exzentrischer Formen übersteigt.

Immer wieder drehte er den Topf, darin sich diese Absonderlichkeit der Pflanzenwelt befand, in seinen Händen. Sie glich dem Gummibaum, dessen längliches, metallisch dunkelgrünes Blatt sie aufwies; aber am Ende dieses Blattes hing ein grüner Faden, eine Nabelschnur, an der eine grünliche, violettgesprenkelte Urne hing, eine Art deutscher Pfeifenkopf, ein sonderbares Vogelnest, das ruhig hin und her baumelte und eine behaarte Innenseite sehen ließ.

»Allerhand!« murmelte Des Esseintes.

Er mußte sich seiner Freude entreißen, denn die Gärtner, die schnell fertig werden wollten, leerten ihre Karren und stellten knollige Begonien und schwarze, rotgesprenkelte Crotone durcheinander auf.

Da bemerkte er, daß noch ein Name auf der Liste stand. Die Cattleya aus Neugranada; man zeigte ihm ein blaßlila gefiedertes Glöckchen; er trat näher, roch daran und wich plötzlich zurück; die Pflanze duftete nach gefirnißtem Tannenholze wie eine Spielzeugschachtel und erinnerte ihn an die Schrecken des Neujahrstages.

Er dachte, daß es gut wäre, sich vor ihr zu hüten, und bedauerte fast, in die Sammlung geruchloser Blumen diese eine aufgenommen zu haben, die durch ihren Duft die unangenehmsten Erinnerungen Wiederaufleben ließ.

Als er allein war, betrachtete er diese Pflanzenmasse, die seine Diele überflutete; die Pflanzen verschwammen ineinander, sie kreuzten ihre Degen, ihre Sicheln und ihre Lanzen und bildeten ein Bündel grüner Waffen, darüber Blätter in blendenden, harten Tönen gleich barbarischen Wimpeln schwebten.

Die Luft wurde reiner; da stieg, nahe dem Fußboden, in einem Winkel, ein sanfter weißer Schein aus dem Dunkel empor.

Er trat näher und sah, daß es Rhizomorphen waren, die, atmend, diesen Nachtlichtschimmer ausstrahlten.

Diese Pflanzen sind doch höchst bestürzend, sagte er sich; dann trat er zurück und überblickte das Ganze: sein Zweck war erreicht; keine Blume erschien wirklich; Stoff, Papier, Porzellan und Metall schienen der Natur vom Menschen geliehen, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Ungeheuer zu schaffen. Da sie des Menschen Werk nicht hatte nachahmen können, blieb ihr nichts anderes übrig, als die inneren Membranen der Tiere zu kopieren, sich der grellen Verwesungstöne ihres Fleisches und der prächtigen Scheußlichkeiten ihrer Gangränen zu bedienen.

Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgeheftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums, auf den noch ein Lichtstrahl fiel. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit. Seit dem Beginn der Welt, von Generation zu Generation, vermachten sich alle Geschöpfe die niemals schwindende Erbschaft, die ewige Krankheit, die unter den Vorfahren des Menschen gewütet und sogar die heute ausgegrabenen Knochen der alten Fossilien zerfressen hat!

Ohne sich zu erschöpfen, war sie durch die Jahrhunderte gerast: noch heute wütet sie; sie verbarg sich unter harmlosen Leiden, unter Symptomen von Migräne, Bronchitis, Vapeurs und Gicht; von Zeit zu Zeit stieg sie an die Oberfläche, klammerte sich mit Vorliebe an schlecht gepflegte und mangelhaft ernährte Leute und heftete ironisch Flecken, wie Goldstücke, einen Schmuck von Münzen, wie sie Tänzerinnen tragen, auf die Stirn der armen Teufel, um ihnen als Höhepunkt des Elends das Bild des Geldes und des Wohlstandes auf die Haut zu prägen!

Da erschien sie nun wieder in altem Glanze auf den bunten Blättern der Pflanzen!  - Joris Karl Huysmans, Gegen den Strich. Berlin, Wien usw. 1972

Blume Ungeheuer


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