Blumenfresser  Erst einmal ging er auf die Toilette und zog die Spülung. Danach ging er in die Küche und klapperte mit Töpfen und Schüsseln. Wahrscheinlich suchte er wieder ein Stück Trockenfisch. Er ging wieder in den Flur, leise vor sich hin trällernd, nieste ein paar Mal und dann war es still. Weiß der Teufel, was er da macht, dachte ich. Nach einer Weile kam er ins Zimmer, mit vollem Mund irgend etwas kauend, und fragte, ob ich erraten könne, was er aß. Ich sagte, nein, und da machte er den Mund auf und zeigte mir, was drin war.

»Deine Blumen«, sagte er mampfend, »die Margeriten im Flur.«

Einen Mann, der Blumen fraß, hatte ich noch nie erlebt, aber wenn er Streit mit mir suchte und meinte, er könne um diese Zeit einen Mordskrach vom Zaun brechen, dann hatte er sich trotzdem getäuscht. Ich fragte, ob sie gut schmeckten, und er sagte, oh ja, und jedenfalls viel besser als meine Paellas und mein Gulasch; das allerdings stank mir gewaltig. Ich konnte mich nicht beherrschen und sagte, darauf herumzukauen sei gut und schön, aber dann solle er sie gefälligst auch hinunterschlucken, wenn er dazu den Mumm hätte.

»Na klar«, sagte er.

Und damit kniff der Saukerl die Augen zu und schluckte alles hinunter. Danach prahlte er, so viel Mumm wie er hätte niemand in den Eiern und dazu fiel mir überhaupt nichts mehr ein, ich starrte ihn nur dämlich an. Schließlich fragte ich, was ihm besser geschmeckt hätte, die Margeriten oder die Fotografie von seiner Hochzeit, die er vor den Augen seiner Frau gegessen hatte, während sie sich vor Lachen fast bepißte.

»Wer hat dir das erzählt?« fragte er, plötzlich ganz ernst.

Ich sagte, er selbst habe es mir erzählt, und da setzte er sich auf das Bett und blieb lange sitzen, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in den Händen vergraben. Als er die Hände wieder vom Gesicht nahm, konnte ich sehen, daß er Augen wie Tomaten hatte und daß sein winziger Schnurrbart wieder zu sprießen begann, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Als ich sah, daß er fast in Tränen ausbrach, tat er mir ein bißchen leid, und ich vergaß die Blumen.

»Na, na«, sagte ich und strich ihm über den Kopf. »Hör schon auf zu weinen, sonst muß ich auch noch anfangen, und dann ist wirklich alles aus.«

»Was heißt hier weinen?« fragte er und wischte sich mit den Fingerknöcheln die Augen.   - Javier Tomeo, Das Verbrechen im Orientkino. Berlin 1996

 

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