lumenduft ist ein dunkler mächtiger Reiz, der sich einem außer sich selber tretenden Lebewesen in seiner überwältigendsten Sinnenspannung entbindet. Er fährt, zwischen den entsendenden Organen der Pflanze und den empfangenden des Menschen, darum weil sie Gegenpole der selben Ladung und Entladung sind, auf ganz sicheren Bahnen. Er wird nicht wie Moschus und wie Vanillin gemeldet und vernommen; es ist Ernst.
Die menschlichen Regungen, auf die er trifft, und die er ins
Spiel bringt, unaussprechliche, sind die allem Zugriffe der Individuation entzogenen
vegetativen, von denen Duft und Farbe und Form in der Pflanze schon selber einzelne
extreme Entladungen sind. Was dort braut und gebraut wird, brütet und abfliegt
— was in uns schlummernd gärt und siedet, stößt und will, färbt und erklingt
und aufbraust, erglänzt und sich formt, hat lebenschemisch die gleichen allertiefinnerlichsten
Verursacher, und verbindet Pflanze und Mensch in dem
selben bittersüßen Rätsel gerade derjenigen sprengenden Stufe, auf der es sich
zu lösen scheint, nur um sich wieder in unsere Wurzeln zu verklausen. Der Mensch
mag hungern wie das wurzellose Tier, dem er in der Jagd nach Nahrung zugesellt
ist — er liebt wie die Pflanze. Jene Gesellschaft darf ihn ekeln, weil er sich
des Hungers schämt. Die Liebe, damit sie sich seiner nicht schäme, muß er nur
von der Pflanze, mit deren ältestem Adel er sie teilt, zu dem Gotte spannen,
der ihm noch älter eingeboren ist, aber er braucht auch in ihrer göttlichsten
Erhebung den lauteren Ursprung, paarweise Vegetation
und vegetativen Jubel verschmelzender Geschlechter, nicht zu leugnen und zu
verraten. Geschlechtslosigkeit und Hermaphroditismus
sind tierische Greuel des Abfalls vom Worte der Schöpfung.
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(
garten
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Blumenduft (2) In dein Bett
greif ich nachts oft hinüber, ob es warm ist. Du bist im Garten drüben, gell
Susn du bist im Garten drüben und machst die Erde schön um den Salat? du kräuselst
Holzwolle und legst sie unter die Erdbeeren, zähl nur schön die Lilienknospen,
jetzt sollst du den Blumenkohl pikiern und jetzt rieche an der ersten Rose,
bücke dich tief tief tiefer und zieh es hinein in die Nase und laß die Augen
zu, laß die Augen zu hör nicht auf zu riechen, merkst du wie schon deine Brust
riecht, wie die Augen losgelöst vom Sehnerv durch ein dunkles All schweben,
wie deine Leber aus einem unendlich entfernten Meer an Land kriecht, es ist
Nacht, spürst du wie aus deinem Schoß wieder Same um Same heraustritt, wie weiße
Würmer durch das dunkle Sieb deiner Haare, wie du über einem glühenden Hochofen
stehst in den sie fallen? und deine Schenkel deine Schenkel die zu Schinken
gemacht zu werden ich nicht verhüten konnte, deine Schenkel deine Schenkel -
so jetzt bin ich schon in der Küche so und dort ist das Regal, daß sie nicht
zu lange im Garten bleibt, sonst zerspringen die Würste im siedenden Wasser,
so da ist die Flasche die kühle Flasche und da ist das Glas das letzte blaue
Glas mein blaues Glas das einzige was ich noch von früher hab sei mir gegrüßt
mein Schnaps rinn nieder geheiligt ist deine Schärfe zu mir komme dein Reich
dein Wille geschehe so und jetzt geh ich dort hinaus wo es am hellsten ist im
Zimmer achso das Fenster ist das wo ist es denn am zweithellsten ich hab doch
die Tür offen gelassen machte ich die Tür hinter mir zu? wo ist denn die Tür
da ist was Kühles das muß die Eisenklinke sein nein das ist Susns nasser Spüllumpen
mit dem Spüllumpen krieg ich die Tür nicht auf wo ist was Glattes nicht so Kaltes
wie die Wand das müßte die Tür sein die hölzerne ah da ist sie ja und jetzt
also die Klinke da ist was Eisenkaltes das ist doch dem Luchs sein Blechnapf
verdammt lieg ich auf dem Boden ich lieg auf dem Holzboden -
(acht)
Blumenduft (3) Wie
süß erscheint er uns; aber soll aller Duft verloren sein, der nicht zufällig
in eine unsrer Nasen kommt, diesen kleinen Teil von uns, indes die Blume ganz
Weihrauchgefäß ist? Jeder fühlt wohl, es ist etwas unbeschreiblich Reizendes,
Liebliches im Blumenduft; aber es bleibt doch für jeden eine unbeschreibliche
Nebensache; wir kosten mehr von seiner Lieblichkeit, als wir sie zu genießen
wissen, und nicht eine Minute lang mögen wir die Nase über eine Blume halten,
so haben wir es satt und gehen weiter; indes duftet die Blume fort und fort,
als hätte sie ein beständiges Geschäft zu erfüllen. Ist es ein Rauchopfer, Gott
gebracht? Aber was kann Gott ein Opfer dienen, das ihm nicht von einer Seele
gebracht wird? Unerklärlich, mehr als halb vergeblich alles, wenn das Duften
der Blumen bloß um andrer, nicht auch um ihrer willen da ist; wenn das, was
wir, die dem Blumenleben so äußerlich gegenüberstehen, von seiner Süßigkeit
genießen, mehr als ein ferner Abklang dessen ist, was in dem Blumenfeben selbst
davon genossen wird. Wer hörte jemals ein süßes Lied singen, von welchem der,
der es sang, nicht mehr fühlte als der, der es hörte, zumal wenn es nicht eine
verwandte Seele ist? Werden wir nicht also auch meinen, daß die Blume das innerliche
Erarbeiten und Ausströmen des süßen Duftes aus ihrem Innern mit größerer Innigkeit
empfindet als wir sein äußerliches Zuströmen? Nun gießt ein Kelch noch überdies
diesen Duft in tausend andre Kelche, und ein Kelch empfängt ihn wieder von tausend
ändern Kelchen. Als unsichtbarer Nebel zieht der Duft von Blume zu Blume, und
der Wind weht ihn noch weit über Hecken und Feldmarken hinaus. Ist auch dies
vergeblich? Wird nicht erst hiermit vollends erklärlich, warum die Blumen fort
und fort duften, indes niemand im Garten geht? Sie selber gehen damit zueinander,
indes sie fest zu stehen scheinen. Jede Blumenseele mag durch das, was von den
ändern Blumen an ihr Fenster rührt, eine Empfindung von dem empfangen, was in
jeder ändern Blumenseele vorgeht; wie die Worte, die wir hören, entsprechende
Empfindungen in uns erzeugen als die sind, mit denen sie andre aussprechen.
Auch Worte sind nur aus dem Innern begeistete sinnliche Boten, warum sollten
es Düfte weniger sein? Worte für uns, Düfte für die Pflanzen, die nun freilich
nicht so Verständiges werden zu übertragen wissen als Worte; aber gibt es bloß
ein Denken mit und in andrer Seelen hinein, nicht auch Empfinden? Zwar gibt
es auch geruchlose Blumen, aber nicht auch stumme Tiere? Freilich sehen wir
keine besondere Nase an der Blume zum Riechen; aber wie sie ganz als Kelch gebaut
ist, Duft auszuströmen, erscheint sie auch ganz dazu gebaut, ihn wieder zu empfangen,
so frei und weit und offen und einfach breitet sie sich dazu aus. Bedenken wir
nur, daß wir ja nicht im geringsten wissen, was unsere innere Nasenfläche befähigt,
zu riechen, warum sollte nicht die innere Blumenfläche ebenso gut dazu befähigt
sein? ... - Gustav Theodor Fechner, Nanna oder Über
das Seelenleben der Pflanzen. In: G. T. F., Das unendliche Leben. München 1984 (zuerst 1848)
Blumenduft (4)
Blumenduft (5) Ich schwankte vorwärts, bis ich mit den Oberschenkeln Halt am Fensterbrett fand. Dann waren meine Hände auf dem Fensterbrett. Ich tastete nach den Handgriffen unten am Fensterrahmen, wußte nicht genau, ob ich sie gefunden hatte, legte aber meine ganze Kraft in eine Hebebewegung. Das Fenster rührte sich nicht. Es war, als wären meine Hände unten festgenagelt. Ich glaube, da schluchzte ich. Und dann, mit der Rechten am Fensterbrett mich festhaltend, schlug ich mit der flachen Linken in die Mitte der Scheibe.
Luft, stechend wie Salmiak, kam durch die Öffnung. Ich
hielt mein Gesicht daran, klammerte mich mit beiden Händen an das
Fensterbrett und sog die Luft ein, mit Mund, Nase, Augen, Ohren und
Poren, und lachte, und aus meinen brennenden Augen lief mir Wasser in
den Mund. Ich hing da und trank Luft, bis ich der Beine unter mir und
meiner Sehfähigkeit wieder einigermaßen sicher war, bis ich wußte, daß
ich wieder denken und mich bewegen konnte, wenn auch nicht gerade
schnell und sicher. Ich konnte es mir nicht leisten, noch länger zu
warten. Ich hielt mir ein Taschentuch vor Mund und Nase und wandte mich
ab vom Fenster.
In dem schwarzen Zimmer, nicht mehr als einen Schritt vor mir, stand ein
fahl leuchtendes, sich windendes Etwas, wie ein Körper, aber nicht aus
Fleisch und Blut.
Es war groß, doch nicht so groß, wie es schien, denn es stand nicht auf
dem Boden, sondern schwebte einen Fuß oder etwas mehr darüber - mit den
Füßen in der Luft. Ja, es hatte Füße - aber ich weiß nicht, welche Form
sie hatten. Sie hatten keine Form, ebenso wie die Beine und der Rumpf
dieses Etwas, wie seine Arme und Hände, sein Kopf und sein Gesicht keine
Form hatten, keine feste Gestalt. Sie wanden sich, schwellend und
schrumpfend, sich dehnend und sich zusammenziehend, nicht sehr, aber
unaufhörlich. Ein Arm verfloß in den Körper, wurde von dem Körper
aufgesogen, kam wieder heraus, als würde er ausgegossen. Die Nase wuchs
über den gähnenden, formlosen Mund hinab, schrumpfte wieder hinauf ins
Gesicht, bis sie mit den qualligen Backen verschwamm, und wucherte
wieder heraus. Die Augen weiteten sich, bis sie ein einziges
riesenhaftes Auge waren, das den ganzen oberen Teil des Gesichts
verschlang, verengten sich, bis gar kein Auge mehr da war, und öffneten
sich wieder, jedes an seiner Stelle. Die Beine waren bald ein Bein, wie
eine lebende gewundene Säule, dann drei Beine, dann zwei. Kein Teil,
kein Glied hörte lange genug auf, sich zu winden, zu wabern und zu
wogen, um seine normalen Umrisse, seine eigentliche Form erkennen zu
lassen. Das Etwas war ein Wesen wie ein Mensch, der über dem Boden
schwebte, mit einem grauenhaften, grimassierenden grünlichen Gesicht und
aus fahlem Fleisch, das nicht Fleisch war, das im Dunkeln sichtbar war
und so fließend und ruhelos und transparent wie bei Flut heranleckendes
Meerwasser. Da erst merkte ich, daß das Einatmen des Moderblumenzeugs
mich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte und ich wohl immer noch nicht
ganz klar war. Aber obwohl ich mir Mühe gab, konnte ich mir nicht
einreden, daß ich dieses Etwas nicht sähe. Es war da. Es war da, so
nahe, daß ich es mit der Hand hätte greifen können, wenn ich mich
vorbeugte, es bebte und wand sich, zwischen mir und der Tür. Ich glaubte
nicht an Übernatürliches - aber was half mir das? Das Etwas war da. Es
war da, und es war - das wußte ich -nicht etwa ein Gaukelgebilde aus
Leuchtfarbe, ein Mann mit einem Bettlaken über dem Kopf. Ich gab es auf.
Ich stand da, das Tasdientudi vor Mund und Nase gepreßt, ohne midi zu
rühren, ohne zu atmen, möglidierweise hielt ich sogar meine
Blutzirkulation an. Ich war da, und das Etwas war da, und ich blieb, wo
ich war.
Das Etwas sprach, wenngleich ich nicht sagen kann, daß
ich die Worte wirklich gehört hätte - es war, als ob ich durch meinen
ganzen Körper der Worte innewurde:
»Nieder mit dir, du Widersacher Gottes des Herrn, nieder auf die Knie!*
Da machte ich die erste Bewegung: ich leckte mir die Lippen mit einer Zunge, die trockener war als die Lippen selbst.
»Nieder mit dir, der du verflucht bist von Gott dem Herrn, nieder, bevor der Schlag dich trifft!«
Das war zwar kein Argument, aber ich verstand es wenigstens. Ich hob kurz mein Taschentuch vom Mund und sagte: »Fahr zur Hölle!« Es klang albern, besonders in der piepsigen Stimme, mit der ich es hervorbrachte.
Der Körper des Etwas krümmte sich konvulsivisch, schwankte und neigte sich auf mich zu. - Dashiell Hammett, Der Fluch des Hauses Dain. Zürich 1975 (zuerst 1929)
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