Blume, unterirdische   Baubo betrachtete die niegesehene Blume: langgezogne, Muscheln ähnelnde Kelche, zartschimmerndes Rosigsein nahe dem Boden, gestocktes Schwarzrot an der Spitze, die sich kronenartig wölbte, und dazwischen das Locken und Drohen des Blutes, wie es hell aus den Wunden der Männer und dunkel aus der Wunde der Frauen quillt. - Ein herbsüßer Duft. - Die Blume war mannshoch, ihr Stengel schuppig und die Breite eines Handgelenks stark: undenkbar, daß sie so schnell erblüht war, sie war schon entfaltet durchs Erdreich gefahren, von einem unsichtbaren Panzer umgeben, der den härtesten Stein durchstieß. Baubo empfand eine schwellende Lust, Stengel und Blüten zu berühren; sie streckte die Hand aus, da sah sie die Wurzel; schuppig, smaragdschwarz und unverzweigt in die grundlose Tiefe sich senkend, und da, endlich zu sich gekommen, zog die Amme ihre Hand zurück, und plötzlich sah sie das Klaffen zur Gänze, als wäre sie in Höhen entrückt: muschelig, offen, der Schoß der Erde, als habe Gaia sich schamlos entblößt, die Ur-Alte, dem Ur-Abgrund verbunden, dem Tartaros, der Ur-Unterwelt, dem sie die Monstren der Kyklopen und das Monstrum Typhon geboren, Kinder, die sie freilich auch wieder verleugnet, ja gegen die sie zu Feld gezogen, mit den neuen Göttern, denen vom Olymp, ihren Ur-Enkeln, zu denen auch Demeter gehörte - da hatte die Alte in ihrem maßlosen Gebären den Verrat aus sich hervorgetrieben, wie sie, auch ohne zeugenden Samen, wahllos und wider jegliche Ordnung die wüstesten Geschöpfe aus ihrem Schoß warf, bis vom Olymp her die Neue erschien, dem Wachsen und Reifen sein Maß zu setzen - und da, angesichts des offenen Schoßes der Erde, wußte Baubo, wie Demeter zu trösten war. - Franz Fühmann, Baubo. Nach (fue)
 

Blume Unterirdisch


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