Blatt  Irgend etwas klopfte ans Fenster. Wurde gegen die Scheibe geweht, immer wieder. Vom Wind vor sich hergetrieben. Es klopfte leise und eindringlich.

Lori saß auf der Couch und tat, als höre sie nichts. Krampfhaft hielt sie ihr Buch fest und blätterte um. Das Klopfen kam wieder, lauter und gebieterischer. Es ließ sich nicht ignorieren.

»Verdammt!« sagte Lori, warf das Buch auf den Couchtisch und eilte ans Fenster. Sie packte die schweren Messinggriffe und schob sie hinauf.

Einen Augenblick widersetzte sich das Fenster. Dann glitt es widerwillig, mit protestierendem Knarren, nach oben. Kalte Herbstluft fegte ins Zimmer. Das Blatt hörte auf zu klopfen, wirbelte gegen die Kehle der Frau und tanzte zu Boden.

Lori hob das Blatt auf. Es war alt und braun. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als sie das Blatt m die Tasche ihrer Jeans schob. Das Blatt schnitt ihr kribbelnd in die Lenden, eine kleine, harte Spitze, die sich in ihre glatte Haut bohrte und ihr erregende Schauer über den Rücken jagte. Einen Augenblick stand sie am offenen Fenster und sog schnuppernd die Luft ein. Die Gegenwart von Bäumen und Felsen, von großen Steinblöcken und entlegenen Orten erfüllte die Luft. Es war Zeit - Zeit, wieder zu gehen. Sie berührte das Blatt. Sie wurde gebraucht.  - Philip K. Dick, Menschlich ist ...  Zürich  1996

Blatt (2) blätter wachsen nie an bäumen, wie ein von oben gesehener berg haben sie keine perspektive, vor einem blatt nimmt der betrachter immer eine falsche stellung ein. zweige stamme und wurzeln erkläre ich für die lügen eines kahlkopfes. wie ein löwe der blutdürstig ein leckeres brautpaar wittert wächst die linde gehorsam auf bretterbedeckten ebenen, der start des kastanienbaumes und der eiche erfolgt auf ein fahnenschwenken. die zypresse ist nicht die wade eines eucharistischen balletts.    - Hans Arp, nach: Dada. Eine literarische Dokumentation. Hg. Richard Huelsenbeck. Reinbek bei Hamburg 1964

Blatt (3) Das Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches. Das Lesen Im Zusammenhang heißt wirkliches Leben. Wann aber die jedesmalige Lesestunde (der Tag) zu Ende und die Erholungszeit gekommen ist, so blättern wir oft noch müßig und schlagen, ohne Ordnung und Zusammenhang, bald hier, bald dort ein Blatt auf: oft ist es ein schon gelesenes, oft ein noch unbekanntes, aber Immer aus dem selben Buch. So ein einzeln gelesenes Blatt ist zwar außer Zusammenhang mit der folgerechten Durchlesung: doch steht es hiedurch nicht so gar sehr hinter dieser zurück, wenn man bedenkt, daß auch das Ganxe der folgerechten Lektüre eben so aus dem Stegreife anhebt und endigt und sonach nur als ein größeres einzelnes Blatt anzusehn ist.

Obwohl also die einzelnen Träume vom wirklichen Leben dadurch geschieden sind, daß sie in den Zusammenhang der Erfahrung, welcher durch dasselbe stetig geht, nicht mit eingreifen, und das Erwachen diesen Unterschied bezeichnet; so gehört ja doch eben jener Zusammenhang der Erfahrung schon dem wirklichen Leben als seine Form an, und der Traum hat eben so auch einen Zusammenhang in sich dagegen aufzuweisen. Nimmt man nun den Standpunkt der Beurtheilung außerhalb Beider an, so findet sich in ihrem Wesen kein bestimmter Unterschied, und man ist genöthigt, den Dichtern zuzugeben, daß das Leben ein langer Traum sei.  - (wv)

 

Zweig Pflanze Buch

 

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