Mit dieser physiologischen Quelle der großstädtischen Blasiertheit vereinigt sich die
andere, die in der Geldwirtschaft fließt. Das Wesen der Blasiertheit ist die Abstumpfung
gegen die Unterschiede der Dinge, nicht in dem Sinne, daß sie nicht wahrgenommen würden,
wie von dem Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und der Wert der Unterschiede
der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird. Sie erscheinen dem
Blasierten in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, keines wert, dem anderen
vorgezogen zu werden. Diese Seelenstimmung ist der getreue subjektive Reflex der völlig
durchgedrungenen Geldwirtschaft; indem das Geld alle Mannigfaltigkeiten der Dinge
gleichmäßig aufwiegt, alle qualitativen Unterschiede zwischen ihnen durch Unterschiede
des Wieviel ausdrückt, indem das Geld, mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz, sich zum
Generalnenner aller Werte aufwirft, wird es der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt
den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichbarkeit
rettungslos aus. Sie schwimmen alle mit gleichem spezifischem Gewicht in dem fortwährend
bewegten Geldstrom, liegen alle in der selben Ebene und unterscheiden sich nur durch die
Größe der Stücke, die sie von dieser decken. Im einzelnen Fall mag diese Färbung oder
vielmehr Entfärbung der Dinge durch ihre Äquivalenz mit dem Gelde unmerkbar klein sein;
in dem Verhältnis aber, das der Reiche zu den für Geld erwerbbaren Objekten hat, ja
vielleicht schon in dem Gesamtcharakter, den der öffentliche Geist jetzt diesen Objekten
allenthalben erteilt, ist er zu einer sehr merkbaren Größe angehäuft. Darum sind die
Großstädte, die Hauptsitze des Geldverkehrs und in denen die Käuflichkeit der Dinge
sich in ganz anderem Umfange aufdrängt, als in kleineren Verhältnissen, auch die
eigentlichen Stätten der Blasiertheit. - Georg Simmel, Die Großstädte und das
Geistesleben. 1903
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