Billet doux    Von jenem Gesellschaftsspiel mit den Billets doux - ich bestehe darauf, dieses lächerliche, der Tränen nicht unkundige Wort zu wiederholen - wußte ich bereits. Doch jetzt beunruhigt mich dies; ist hier kalter, erbitterter Hohn im Spiel, den Dir die Finsternis Deiner Liebe diktiert hat, oder hat sich gar die Liebe selbst, im Verein mit jenen Banden, die Lebende und Tote verbinden, eingeschaltet, um die unschlüssigsten, unbeständigsten und zerbrechlichsten aller Herzen durch ihre Irreführungen zu quälen? Sind wir beide, Du und ich, im gleichen Betrug vereint, oder möchte jeder den anderen auf Schritt und Tritt belügen und betrügen, um ihm zugleich nahe und unsichtbar zu sein? Eines weiß ich jedenfalls genau: daß Du mir nicht anders schreiben könntest als in zweideutigen und undurchsichtigen Worten, und daß Deine Zweideutigkeit unweigerlich im Dunkeln ließe, ob eine Botschaft - eine Weigerung, eine Zustimmung oder beides - wirklich für mich bestimmt ist und nicht für irgendeinen beliebigen Empfänger, oder ob sie gar nur eine gekünstelte Grundsatzerklärung ist. Deine Zweideutigkeit mißfällt mir nicht, und auch nicht Deine Verschleierung der Regeln, derart, daß ich niemals weiß, ob Du lügst oder Dich im Empfänger, in der Botschaft, der Zeit, der Wortwahl geirrt hast, oder ob ich nicht meinerseits im Irrtum bin, wenn ich - enttäuscht und getäuscht - eine Zustimmung, eine zarte Zurückweisung, ein sanftes Bedauern oder ein scharfsinniges und schlaues Ausweichen suche.  - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin 1982
 

Liebesbrief

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