ildsprung  Es stimmte, daß fast jeder in den Straßen als der König seiner selbst dahinzog und von dem andern auch eine Art entsprechenden Kniefalls erwartete. Und indem der einzelne das jeweilige Gegenüber mit seinem höchsteigenen selbstherrlichen Zeitsinn tyrannisierte, kam es immer wieder in dem anscheinenden Friedensgetümmel von einem Moment zum andern zu einem Hör- und Bildsprung: Losbrüllen, Losgellen, Aufeinandereinschlagen, Gewalt (ebenso unvermittelt dann beigelegt); unter den einander so gleichenden, auch so ebenmäßigen Gesichtern auf Schritt und Tritt eines, zwei, mehrere, die innerhalb eines Augenblitzens zu Fratzen wurden, die Zähne fletschten, die Zungen heraushängten oder herausfuhren und statt der sonst wohltemperierten, fast überzivilisierten Stimmen - durch die Reihen, auch bei den größeren der Kinder, im Tonfall und Tempo mit den sonoren Organen von Radio- und Fernsehsprechern zu verwechseln - nach einem plötzlichen Atemstau das Gekreische, Geknurre und Fauchen von Affen? von Hyänen? von Raubtieren?, nein, von wildwerdenden Menschen losließen, eine von der vielleicht ursprünglichen Wildheit von Grund auf verschiedene.  - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002