Fildermacht  Zunächst meinte jeder von uns, er sei von einer Geistesverwirrung befallen, und suchte dagegen anzukämpfen. Bald stellte sich aber heraus, was es damit für eine Bewandtnis hatte. Wir trieben dahin und alles um uns her lief ab, als hätte unser Geist, nachdem er zu diesem Angelpunkt des Unbewußten durchgestoßen war, nicht mehr die Kraft, die Richtung zu erkennen, in der er sich bewegte. Bildhafte Vorstellungen hielten ungebührlich lange in ihm vor, nahmen feste Gestalt an, verdinglichten sich zu Wirklichkeiten. In sinnlich wahrnehmbarer Kraft machten sie sich bemerkbar. Demgemäß nahmen sie den Charakter von Täuschungen des Gesichtsinns, des Gehörsinns und des Tastsinns an. Es widerfuhr uns die ganze Macht der Bilder. Wir hatten die Kraft, sie willentlich zu handhaben, eingebüßt. Sie herrschten schrankenlos über uns und jagten auf uns dahin, als seien wir ihre Reittiere. Im Bett, im Augenblick des Einschlafens, oder mitten auf der Straße gerieten wir, unter allen Anzeichen des Entsetzens und mit weit aufgerissenen Augen, in leibliche Berührung mit Ausgeburten unserer Phantasie. . . . Wir spürten ihre geistige Stofflichkeit in ihrer handgreiflichen Macht, in ihrer Fähigkeit, sich zu verdinglichen. Wir sahen, wie diese geistige Stofflichkeit aus einer Erscheinungsform in eine andere überging. Und gerade an diesen Gestaltwandlungen, die uns das Vorhandensein dieser Stofflichkeit überhaupt erst enthüllten, erkannten wir auch ihr Wesen. Wir beobachteten z. B., wie sich das Bild von etwas Geschriebenem, das sich zunächst wie etwas gänzlich Zufälliges und Willkürliches darbot, unseren Sinnen aufdrängte, sodann seine Sprachlichkeit und Schrifthaftigkeit ablegte und sich zu rein bildhaften Erscheinungen und Wirklichkeiten wandelte, von denen wir nie geglaubt hätten, daß sie sich hervorrufen ließen, und die wir bis dahin immer für feststehend und nicht nach unserem Belieben manipulierbar gehalten hatten.   - Louis Aragon 1924, nach: Maurice Nadeau, Geschichte des Surrealismus, Reinbek bei Hamburg 1986 (zuerst 1945, re 437)
 
 

Bild Macht

 

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