ilderjäger  Jorge Carrera Andrade hat sich selber einen Bilderjäger genannt, und zu seiner Beute gehören Tierbilder: »Möwe:/ Gischtbraue / auf der Woge der Stille. / Wedeltuch der Schiffbrüche. / Hieroglyphe des Himmels.« So lautet seine ›Definition der Möwe‹. Auch ›Was die Schnecke ist‹ erfährt man: »Schnecke: / winziges Meterband, / mit dem Gott das Land ausmißt.« Von der Spinne heißt es: »Spinne am Boden: / Epaulette, / abgefallen von der Schulter der Zeit« und von der Schmeißfliege »Schmeißfliege: Weinbeere mit Flügeln. / An deinem Schweigemost / berauscht sich das Herz.«  - (loe2)

Bilderjäger (2) Ich erwachte gewöhnlich bei Sonnenaufgang und setzte mich, ohne mich zu waschen oder anzukleiden, vor die direkt neben meinem Bett aufgestellte Staffelei. So war mein erster optischer Eindruck nach dem Aufwachen das begonnene Bild, es war auch der letzte, wenn ich am Abend schlafen ging. Ich versuchte es auch während des Einschlafens fest im Blick zu behalten, als ob es mir gelingen könnte, mich nicht von ihm zu trennen, wenn ich mich bemühte, es mit meinem Schlaf zu verbinden. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf und knipste das Licht an, um mein Bild wieder für einen Augenblick zu sehen. Dann und wann betrachtete ich es auch zwischen zwei Schlafphasen im Lichtschimmer des zunehmenden Mondes. Den ganzen Tag über saß ich vor meiner Staffelei, starrte unverwandt darauf und versuchte wie ein Medium (ja, wirklich), die in meiner Einbildung aufschießenden Bilder zu »sehen«. Oft sah ich die genaue Lage dieser Bilder auf der Leinwand. Dann malte ich sie an der von ihnen geforderten Stelle, malte mit dem scharfen Geschmack im Mund, den keuchende Jagdhunde in dem Moment haben müssen, da sie ihre Zähne in das soeben mit einem wohlgezielten Schuß getötete Wild graben.

Zuweilen wartete ich stundenlang auf das Auftauchen solcher Bilder.

Ohne zu malen, verharrte ich dann angespannt, eine Pfote, in der bewegungslos der Pinsel hing, hochhaltend, bereit, sofort wieder in die Traumlandschaft meiner Leinwand hineinzustürzen, wenn die nächste Explosion meines Gehirns ein neues Opfer meiner Einbildung blutend zur Strecke brachte. Manchmal geschah die Explosion, ohne daß etwas zu Boden fiel. Manchmal jagte ich wild, aber vergebens davon, denn was ich für ein Rebhuhn gehalten hatte, stellte sich nur als ein Blatt heraus, das die Kugel von einem Zweig gerissen hatte. Damit mein Herr mir meinen Irrtum verzieh, kam ich mit hängendem Kopf zurück und demütigte mich vor ihm. Dann fühlte ich, wie die schützenden Finger meiner Einbildung mich beruhigend zwischen den Augenbrauen kraulten, und ich schloß meine Augen, vor Wollust wedelnd.

Hinter meiner Stirn nörgelte es heftig, und manchmal mußte ich mich mit beiden Händen kraulen. Die bunten Sonnenschirme, die kleinen Papageienköpfe und die Heuschrecken gärten sozusagen dicht hinter der Haut wie ein Nest von Würmern und Ameisen. Wenn das Nörgeln vorüber war, fühlte ich erneut, wie Minerva ruhig und streng mit der kühlen Hand der Intelligenz über meine Stirn strich, und ich sagte mir: »Gehen wir schwimmen. « Ich kletterte über die Felsen und suchte mir eine vollkommen windgeschützte Stelle. Dort aalte ich mich in der sengenden Glut solange ich es aushalten konnte, bis ich von den vorspringenden Felsen ins eiskalte Wasser sprang, hinab in die preußisch-blaue Tiefe, die sogar noch unergründlicher war als die des Muli de la Torre. Mein nackter Körper umfing zärtlich meine Seele und sagte zu ihr: »Warte nur, - sie kommt ja.« Meine Seele liebte diese Umarmungen nicht und versuchte sich den allzu heftigen Regungen meiner Jugend zu entziehen.

»Bedräng mich nicht so«, sagte meine Seele, »du weißt sehr gut, daß sie deinetwegen kommt.«

Darauf setzte sich meine Seele, die nie badete, in den Schatten.

»Geh nur - geh und spiel!« sagte sie, genau wie mein Kindermädchen, als ich klein war. »Wenn du müde bist, hol mich ab und wir gehen nach Hause.«

Nachmittags hockte ich wieder mit Leib und Seele vor meinem Bild und malte, bis kein Licht mehr in mein Zimmer fiel. Der Vollmond ließ die mütterliche Flut meiner Seele anschwellen und goß sein fades Licht über den sehr realen, voll erblühten, von durchsichtigen Sommerkleidern bedeckten weiblichen Körper der Galuschka meiner »falschen Erinnerungen«, die mit den Jahren ständig zugenommen hatten. Mit ganzer Seele verlangte ich nach ihr. Aber jetzt, da ich fühlte, daß sie schon sehr nahe war, wünschte ich die Lust und Qual der Erwartung weiter hinauszuzögern. Und während ich mehr als alles in der Welt den Augenblick ihrer Ankunft herbeisehnte, sagte ich zu mir: »Koste diese wunderbare Gelegenheit aus, koste sie aus. Noch ist sie nicht da!« Verrückt und verzückt krallte ich mich an jedem kostbaren Augenblick fest, in dem ich noch allein war. Noch einmal rang ich meinem Körper jene vertraute einsame Lust ab, die süßer als Honig ist, während ich meine Zähne in den von einem Mondstrahl erleuchteten Zipfel meines Kopfkissens grub, bis sie durch das speichelgetränkte Gewebe bissen. »Weh, ach weh!« rief meine Seele. Danach schlief ich neben ihr ein, ohne daß ich sie zu berühren wagte.

Sie erwachte immer vor mir, und wenn ich bei Sonnenaufgang die Augen öffnete, war sie schon auf, stand neben meinem Bild und schaute. Schlief sie denn nie?    - (dali)

 

Bild Jäger

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme