ilanz   Vor dem Handelsstand kriegt man erst den wahren Respekt, wenn man zwischen Handelsstand und Menschheit überhaupt eine Bilanz zieht. Schaun wir auf'n Handelsstand, wie viel gibt's da Großhandlungen, und schaun wir auf die Menschheit, wie wenig große Handlungen kommen da vor; - schaun wir auf'n Handelsstand vorzüglich in der Stadt, diese Menge wunderschöne Handlungen, schaun wir auf d' Menschheit, wie schütter sind da die wahrhaft schönen Handlungen ang'säet; - schaun wir auf'n Handelsstand, diese vielen Galanteriehandlungen und schaun wir auf d' Menschheit, wie handeln s' da oft ohne alle Galanterie, wie wird namentlich der zarte, gefühlvolle, auf Galanterie Anspruch machende Teil, von dem gebildetseinsollenden, spornbegabten, zigarrozuzelnden, roßstreichelnden, jagdhundkaschulierenden Teil, so ganz ohne Galanterie behandelt! - Jetzt wenn man erst die Handlungen der Menschheit mit Gas beleuchten wollt' - ich frag' wie viele menschliche Handlungen halten denn eine Beleuchtung aus, als wie eine Handlung auf'n Stockameisenplatz ? - Kurzum, man mag Vergleiche anstellen, wie man will, der Handelsstand is was Erhabenes, wir haben einen hohen Standpunkt, wir von der Handlung, und ich glaub' bloß wegen dieser schwindeln' den Höhe fallen so viel' von der Handlung.  - Johann Nestroy, Einen Jux will er sich machen

Bilanz (2)  Xaver Holtzmann hat einen Zwischenspurt eingelegt. Die Sponsoren sind UNEP (United Nations Environment Programme), IUCN (The World Conservation Union) und WCMC (World Conservation Monitoring Centre). In einer Publikation errechnet er die Zahl der Tiere auf dem Planeten, vergleicht sie mit der Zahl der Sterne in unserer Galaxie. Dies ist erheblich für den Fall einer Sammelklage, sollte der Planet vernichtet werden. Die Sterne der Milchstraße, mit einer Fehlerrate von 0,3 % gezählt: 200 Milliarden. Demgegenüber die Zahl aller Tiere auf der Erde: Eine Trillion. Hiervon zehn Billiarden Ameisen, 300 Milliarden Vögel.15

Es entfallen auf einen Elefanten 10 000 Menschen, auf einen Weißstorch 20 000, auf einen Löwen 100 000, auf einen Tiger 1 000 000, auf einen großen Panda 5 000 000 und auf das seltenste, wildlebende Tier (es gibt nur noch ein Exemplar dieser Papageienart), den Spixara, sechs Milliarden Menschen. Für Sammelklagen interessant sind die Heimtiere. 106 Millionen Katzen (ohne streunende), 94 Millionen Hunde (ohne streunende). Es treten die Nutztiere hinzu: Drei Billionen Bienen, 20 Milliarden andere Tiere: 13 Milliarden Hühner, 1,3 Milliarden Rinder, eine Milliarde Schafe, 935 Millionen Schweine, 699 Millionen Ziegen, 209 Millionen Gänse, 2.46,4 Millionen Truthühner, 162,3 Millionen Hausbüffel, 60,9 Millionen Pferde, 19 Millionen Kamele, 2,6 Millionen Farmkrokodile.

Hinzu tritt bei Verlust des Planeten: Erdöl, Kohle, Bodenschätze, umbauter Raum, Antiquitäten.16 Bei den Vögeln führt Xaver Holtzmann im einzelnen auf: die Stadttaube (Felsentaube, verwilderte Haustaube) 32 Millionen (Zahl steigend), Blutschnabelweber 1,5 Milliarden, Feldlerche 320 Millionen, Rauchschwalbe 15 Millionen, Silbermöwe 2,3 Millionen, Knut 1,3 Millionen (stabil), Gelbfußflamingo 50 000, europäischer Kranich 250 000, Riesenseeadler 7 500, Rotstichkakadu 3 000 (sinkend), Humboldtpinguin 20 000, Kaiserpinguin 350 000 (stabil).

Auf einen Menschen kommen, errechnet Xaver Holtzmann, 500 Bäume, 6833 m3 erneuerbares Süßwasser.

Das Leben auf Erden wiegt 1 850 Milliarden Tonnen. Davon sind 99 % pflanzlicher Natur. Die Biomasse des Menschen beträgt 0,1 Milliarden Tonnen. In den offenen Ozeanen wachsen jährlich 41,5 Milliarden Tonnen hinzu, auf den Kontinenten 117,5 Milliarden Tonnen. In der Stadt Brüssel wiegen die Einwohner 7,16 % des Lebendgewichts (d. h. des Gewichts der Stadt unter Abzug nichtlebender Steine, Metalle und sonstiger städtischer Materie), die Regenwürmer 0,97 °/°> die Hunde 0,12 %, übrige Tiere 0,61 %, das Böse wiegt 61 %, das Gute 26 %, der Rest ist Schwund.

Ziel der von Xaver Holtzmann zusammengeführten Daten war es, eine Eröffnungsbilanz des 21. Jahrhunderts zu erstellen. Der gründliche Holtzmann fügte aus Quellen der Schätzungen eine Bilanz zum 31. 12. 1799 und zum 31. 12. des Jahres 1000 hinzu. Für das Jahr 1000 sind die Daten deshalb ungenau, weil der Zeitpunkt des 31. 12. durch die inzwischen erfolgten Kalenderumschreibungen nur ungefähr feststellbar ist.

15 Mittelwert. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 200 und 400 Milliarden. Somit kommen auf einen Menschen 50 Vögel und an Tieren insgesamt 167 Millionen.
16 Für die Sammelklage unerheblich ist der entgangene Gewinn, d. h. die noch nicht gehobenen Bodenschätze, die noch »herrenloses Gut« darstellen.  
- (klu)

Bilanz (3)  Ich gehe und lese von Erschießungen, davon, wie unsere Stadt noch eine ihrer Nächte zugebracht hat. Ich gehe dahin, wo jeden Tag Bilanz gezogen wird.
In der Kapelle, gleich neben der Leichenhalle, wird eine Totenmesse gelesen.
Für einen Soldaten.
Drei Angehörige sind dabei. Fabrikarbeiter, eine Frau. Platte Gesichter.
Das Gebet des Popen ist dürftig, ohne Beiwerk und ohne Trauer. Die Angehörigen fühlen das. Mit stumpfem, stierem Blick sehen sie den Popen an.
Ich komme mit dem Wächter ins Gespräch.
»Der •wird wenigstens begraben«, sagt er.

»Da drüben, haben •wir noch an die dreißig Stück liegen, bis zu drei Wochen liegen sie da, jeden Tag werden welche abgeladen.«
Jeden Tag bringt man Erschossene und Ermordete m die Leichenhalle. Bringt sie auf Schlitten her, lädt sie am Tor ab und fahrt weg.
Früher hat man gefragt — wer wurde ermordet, wann, von wem. Jetzt werden sie einfach hingeworfen. Man schreibt auf einen Zettel »Mann unbekannten Namens« und ab in die Leichenhalle.

Von Rotarmisten, Milizionären, von allen, möglichen Leuten werden sie hergebracht.
Diese Visiten — morgens und abends — dauern bereits ein Jahr, ohne Unterbrechung, ohne Pause. In letzter Zeit ist die Anzahl der Leichen ins Unermeßliche gestiegen. Wenn jemand aus Langeweile fragt, antworten die Milizionäre: »Bei einem Raubüberfall getötet.«
In Begleitung des Wächters gehe ich in die Leichenhalle. Er hebt die Laken an und zeigt mir die schwarzfleckigen Gesichter von Leuten, die vor drei Wochen gestorben sind. Alle sind sie jung, von kräftigem Körperbau. Da ragen Füße in Stiefeln, in Fußlappen, nackte wächserne Füße. Gelbe Leiber sind zu sehen, blutverklebte Haare. Auf einem der Körper liegt ein Zettel: Fürst Constantin Eboli de Tricoli.

Der Wächter schlägt das Laken zurück. Ich erblicke einen gutgebauten, hageren. Körper, ein kleines herausforderndes, grausiges Gesicht mit gefletschten Zähnen. Der Fürst hat einen englischen Anzug an und Lackschuhe, oben mit schwarzem. Wildleder. Er ist der einzige Aristokrat in den stummen Mauern.

Auf einem anderen Tisch finde ich seine adlige Freundin, Francisca Britti. Sie hat nach der Erschießung noch zwei Stunden im Krankenhaus gelebt. Ihr wohlgeformter purpurroter Körper ist in Verbände gewickelt. Sie ist ebenfalls schlank und groß, wie der Fürst. Ihr Mund steht offen. Der Kopf ist angehoben — in unbändiger, hastiger Bewegung. Die langen weißen Ranbtierzähne blitzen. Noch als Tote wahrt sie den Stempel der Schönheit und Herausforderung. Sie heult, lacht verächtlich über die Mörder.

Mir wird klar: Die Leichen werden nicht beerdigt, weil dafür kein Geld da ist. Das Krankenhaus will seine Mittel nicht für Beerdigungen vergeuden. Angehörige gibt es nicht. Das Kommissariat ist taub, windet sich heraus und weist ab. Die Krankenhausverwaltung wendet sich an den Smolny.
Natürlich.

Wir alle landen da.

»Jetzt geht das noch«, meditiert der Wächter, »sollen sie liegen, bei dem Wetter halten sie sich, aber wenn's erst warm wird, rennt das ganze Krankenhaus davon . . .«
Die herumliegenden Leichen sind das Tagesgespräch im Krankenhaus. Wer sie wegschafft — das ist offenbar zu einer Frage des Ehrgefühls geworden.
»Ihr habt sie niedergemetzelt«, argumentiert der Feldscher erbittert, »also schafft sie auch weg. Zum Abladen reicht euer Verstand. Kern Tag vergeht, ohne daß es Dutzende sind, Gemetzelte. Mal eine Erschießung, mal ein Raubüberfall . . . Wieviel Papier haben wir schon vollgeschrieben . . .«

Ich verlasse den Ort, wo Bilanz gezogen wird.  - (charms)

 

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Saldo