Bikerin    Damals kurvte DL immer bloß die 101 rauf und runter, suchte eine weibliche Motorradgang zum Terrorisieren, trank billigen Wodka aus der Flasche und lag Typen mit Namen wie Snake in den Ohren, sie sollten ihr soviel von den kleinen Weißen geben, daß sie das nächste angemessen gefährliche Ballungszentrum erreichen konnte. In der Nacht, bevor sie Frenesi kennenlernte, hatte sie die gesamte Tetas y Chetas-Motorradgang durch das dunkle Farmland um Salinas nordwärts gejagt, über Straßen, auf denen so viel von den Lastwagen gefallenes und vom nachfolgenden Verkehr völlig zermatschtes Gemüse lag, daß die Luft, die an ihrem Gesicht vorbeiströmte, wie ein gewaltiger Salat roch. Schließlich ging ihr der Sprit aus, und sie mußte sie entkommen lassen. Da war Berkeley aber schon so nah, und sie hatte im Radio schon so viel darüber gehört, daß sie sich das mal ansehen wollte. Weder damals noch später hatte sie sagen können, was sie eigentlich suchte.

Was sie fand, war Frenesi, die seit Tagesanbruch mit ihrer Kamera und einer Tasche voll befreitem «Ektachrome Commercial»-Material unterwegs und schließlich in der Telegraph Avenue gelandet war, wo sie die auseinandergezogene Kette einer paramilitärischen Einheit filmte, die die Straße entlang vorrückte, ausgerüstet mit Helmen, Schilden und kleinen Gewehren, die, wie sie hoffte, nur für Gummigeschosse vorgesehen waren. Als sie sich das letzte Mal umgesehen hatte, war sie kurz vor der Front einer Menge gewesen, die sich langsam vom Universitätsgelände zurückzog und dabei kaputtschlug, was kaputtzuschlagen war. Doch nun war die Rolle zu Ende, und Frenesi tauchte aus der Sicherheit des Suchers auf und steilte fest, daß sie in der Mitte zwischen Studenten und Einsatztruppe stand, und weit und breit keine Seitengasse, in die sie hätte abtauchen können. Hmmm. Die Ladentüren waren mit Ketten verschlossen, die Schaufenster mit dicken Sperrholzplatten vernagelt. Ihr nächster Schritt wäre gewesen, einen neuen Film einzulegen und einfach weiterzumachen. Doch dazu hätte sie in ihrer Tasche wühlen müssen, und das hätte von den Jungs in Khaki leicht mißverstanden werden können. Sie waren inzwischen schon so nahe, daß Frenesi sie über der beißenden Grundnote von Tränengas riechen konnte: ihr Rasierwasser, den sonnendurchwärmten Waffenstahl, die neu ausgegebenen Uniformen, die jetzt unter den Armen nach Angst stanken. Verdammt, ich brauche Superman, dachte sie, oder Tarzan mit seiner Liane. Der wohlbekannte Eisblock in den Gedärmen war bereits aufgetaucht und wieder verschwunden, als DL, ganz in Schwarz, einschließlich Helm und Visier, auf ihrer geliebten,  heißgemachten,  rot-silbernen  und  überall verschnörkelten tschechischen CZ erschien, auf der sie nun Frenesi samt Kamera, Minirock, Bereitschaftstasche und so weiter aus der Gefahrenzone brachte. Im Slalom kurvten sie um Scherben und Papierfeuer, über zerkrümeltes Autoglas, versuchten die Leute, die auf der Straße lagen, nicht zu überfahren, wichen auf den Gehsteig aus und entkamen schließlich um eine Ecke und einen langen Hügel hinunter in Richtung der in der Abendsonne funkelnden Bay, in einem knurrenden, traumhaften Rausch aus Geschwindigkeit und Geruch. Frenesi preßte ihre nackten Oberschenkel an die Lederhüften ihrer Retterin, drückte ihr Gesicht an die duftende Lederjacke - sie kam nicht auf den Gedanken, der Körper, an den sie sich schmiegte, könnte der einer Frau sein.

Na gut, Motorradrausch. Sie aßen Cheeseburger und Fritten und tranken Milkshakes in einer Kneipe an der Bay, ringsum lauter andere Flüchtlinge von der Schlacht auf dem Hügel, und alle Augen, auch die, welche eben noch geweint hatten, leuchteten.  - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

Motorrad

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