bliothekar  Der Mensch, der unvollkommene Bibliothekar, mag ein Werk des Zufalls oder böswilliger Demiurgen sein; das Universum, so elegant ausgestattet mit Regalen, rätselhaften Bänden, unerschöpflichen Treppen für den wandernden und Latrinen für den seßhaften Bibliothekar, kann nur das Werk eines Gottes sein. - J. L. Borges, Die Bibliothek von Babel, In: J.L.B., Blaue Tiger und andere Geschichten. München 1988 (zuerst 1941)

Bibliothekar (2) Russells Paradoxie wird häufig mit der Geschichte des gründlichen Bibliothekars erläutert. Eines Tages, während er zwischen den Regalen umhergeht, entdeckt der Bibliothekar eine Sammlung von Katalogen. Es gibt verschiedene Kataloge für Romane, Fachbücher, Lyrik und so weiter. Der Bibliothekar stellt fest, daß manche Kataloge sich selbst auflisten, während andere dies nicht tun.

Um das System zu vereinfachen, stellt der Bibliothekar zwei weitere Kataloge zusammen, wobei der eine die Kataloge auflistet, die sich selbst auflisten, der andere, und interessantere, die Kataloge, die sich nicht selbst auflisten. Nach getaner Arbeit stößt der Bibliothekar auf ein Problem: Sollte der Katalog, der alle Kataloge auflistet, die sich nicht selbst auflisten, sich selbst auflisten? Wenn ja, darf er per Definition nicht aufgelistet werden. Wenn er allerdings nicht aufgelistet wird, muß er per Definition aufgelistet werden. Der Bibliothekar steht vor einem unlösbaren Dilemma. - (ferm)

Bibliothekar (innen)

- (N.N., Fotostudio C. Breuer-Courth)

Bibliothekar (4)  Die »nicht markanten« Bibliothekare haben eine beginnende zarte Glatze, saubere graue Anzüge, korrekte Ansichten und peinlich langsame Bewegungen. Dauernd kauen sie und bewegen die Kiefer, obschon sie nichts im Munde haben, und gewohnheitsmäßig flüstern sie nur; überhaupt sind sie vom Buch verdorben, dadurch, daß sie nie von Herzen gähnen dürfen. - (babel)

Bibliothekar (5)   Eratosthenes, der große Bibliothekar von Alexandria, ein Universalgelehrter des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, der über eine halbe Million Schriftrollen gebot, machte als Achtzigjähriger eine furchtbare Entdeckung. Seine Augen begannen ihm den Dienst zu versagen. Er sah noch, aber er vermochte nicht mehr zu lesen. Ein anderer hätte die völlige Erblindung abgewartet. Er hielt seine Trennung von den Büchern für Blindheit genug. Freunde und Schüler flehten ihn an, bei ihnen zu bleiben. Er lächelte weise, dankte und hungerte sich in wenigen Tagen zu Tode. - Elias Canetti, Die Blendung. Frankfurt am Main 200 (zuerst 1935)

Bibliothekar (6)

 - Félicien Rops

Bibliothekar (7)   Der Mann war nackt, nur bis zu den Schultern abgedeckt, und lag seitlich auf dem blanken Metalltisch, in gekrümmter Haltung, als fürchtete er sich vor einem Blitzschlag. Die Schultern waren nach vorn gewölbt, der Kopf gesenkt, und seine Arme lagen zwischen den angewinkelten Knien, die geballten Fäuste ans Kinn gedrückt. Die weißliche Farbe, die ausgeprägten Muskeln, die wundenübersäte Haut verliehen dem Toten eine beinahe unerträgliche Gegenwart und Realität. Der Hals wies lange Einschnitte auf, als hätte jemand versucht, ihm die Kehle aufzuschlitzen. Unter den Schläfen breiteten sich geplatzte Adern aus wie Flüsse, die über die Ufer getreten sind.

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»Wurde er identifiziert?« fragte Niemans die Versammlung.

Barnes trat einen Schritt vor, sehr militärisch, und räusperte sich, ehe er feierlich anhob: »Das Opfer heißt Rémy Caillois, Herr Kommissar. Fünfundzwanzig Jahre alt. Er war seit drei Jahren Chefbibüothekar an der Universität von- Guernon. Die Leiche wurde heute morgen von seiner Frau Sophie Caillois identifiziert.«

»Hat sie ihn als vermißt gemeldet?«

»Ja, gestern, Sonntag, am späten Nachmittag. Ihr Mann war am Vortag zu einer Klettertour ins Gebirge aufgebrochen, er wollte zum Gipfel des Muret hinauf. Allein, wie an jedem Wochenende. Manchmal übernachtete er in einer Berghütte. Deshalb hat sie sich zunächst keine Sorgen gemacht. Bis gestern nachmittag, und ...«

Barnes verstummte. Niemans hatte das Tuch zurückgeschlagen und den Rumpf der Leiche entblößt.

Ein stummes Entsetzen breitete sich aus, tonlos, wie ein in den Kehlen steckengebliebener Schrei. Unterleib und Brustkorb des Opfers waren übersät von schwärzlichen Wunden unterschiedlicher Form und Tiefe, Schnitte mit bläulichen Rändern, schillernde Verbrennungen, schwärzliche Flecken, die aussahen wie Rußwolken. An den Armen und Handgelenken waren Quetschungen zu erkennen, weniger ausgeprägt als am Hals, als wäre der Mann mit Stricken gefesselt worden.

»Wer hat den Toten gefunden?«

»Eine junge Frau ...« Barnes warf einen Blick in seine Akten und fuhr fort: »Fanny Ferreira. Eine Professorin an der Universität.«

»Wie hat sie ihn entdeckt?«  Barnes räusperte sich erneut.

»Sie ist eine sportliche Frau, eine Wildwasserfahrerin, Sie wissen schon - mit Kajak und Taucheranzug fährt sie durch Stromschnellen und Wasserfälle ... Ein äußerst gefährlicher Sport.«

»Und?«

»Nach dem natürlichen Staudamm des Flusses ist sie ans Ufer geklettert, am Fuß der Felswand, die den Campus abschließt. Dabei entdeckte sie die Leiche in der Felsnische.«  - Jean-Christophe Grangé, Die purpurnen Flüsse. Berlin 2011  (zuerst 1998)


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