Bewußtseins-Ort  Neurophysiologen haben die Meinung vertreten, daß insbesondere die Formatio reticularis als „Sitz" des Bewußtseins in Frage käme, falls ein solcher Sitz tatsächlich existiert.

Die Formatio reticularis ist immerhin für den allgemeinen Wachheitszustand des Gehirns verantwortlich. Wird sie beschädigt, ist Bewußtlosigkeit die Folge. Dann und nur dann, wenn sich das Gehirn im wachen, bewußten Zustand befindet, ist die Formatio reticularis aktiv. Anscheinend gibt es in der Tat einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Aktivität der Formatio reticularis und demjenigen Zustand einer Person, den wir eigentlich als „bewußt" bezeichnen. Allerdings wird die Sache dadurch kompliziert, daß normalerweise aktive Teile der Formatio reticularis im Zustand des Träumens nicht aktiv zu sein scheinen — obwohl man dabei doch eigentlich insoweit ein „Bewußtsein" hat, als man sich des Traums selbst bewußt ist. Was die Forscher zögern läßt, der Formatio reticularis einen derart ehrwürdigen Status zuzubilligen, ist der Umstand, daß es sich evolutionsgeschichtlich um einen sehr alten Teil des Gehirns handelt. Wenn eine aktive Formatio reticularis alles ist, was man zum Bewußtsein braucht, dann besitzen Frösche, Eidechsen und sogar Kabeljaus Bewußtsein!

Mich persönlich überzeugt dieses letzte Argument nicht besonders. Welche Indizien haben wir dafür, daß Eidechsen und Kabeljaus nicht eine niedrige Form von Bewußtsein besitzen? Was gibt uns das Recht zu der manchmal geäußerten Behauptung, die Menschen seien als einzige Bewohner unseres Planeten mit der echten Fähigkeit gesegnet, „bewußt" zu sein? Sind wir unter den Lebewesen dieser Erde die einzigen, denen es möglich ist, ein „Dasein" zu haben? Ich bezweifle es. Zwar können mich Frösche, Eidechsen und insbesondere Kabeljaus nicht allzusehr davon überzeugen, daß notwendigerweise „jemand da" ist und zu mir zurückblickt, wenn ich sie anschaue; hingegen ist für mich der Eindruck einer „bewußten Gegenwart" tatsächlich sehr stark, wenn ich einen Hund oder eine Katze betrachte, oder besonders, wenn ein Affe im Zoo mich anblickt. Ich verlange nicht, daß sie fühlen wie ich, ja nicht einmal, daß das, was sie fühlen, sehr kompliziert ist. Ich behaupte auch nicht, daß sie in irgendeinem starken Sinne „selbstbewußt" sind (obwohl ich vermute, daß ein Fünkchen Selbstbewußtsein vorhanden sein kann). Alles, was ich verlange, ist, daß sie manchmal einfach fühlen! Was den Zustand des Träumens anbelangt, so würde ich für meinen Teil akzeptieren, daß dabei eine Form von Bewußtsein vorhanden ist, aber vermutlich auf sehr niedrigem Niveau. Wenn Teile der Formatio reticularis in gewisser Weise allein für Bewußtheit verantwortlich sind, dann sollten sie während des Traumzustands, wenn auch auf niedrigem Niveau, aktiv sein.  - Roger Penrose, Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider Oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Heidelberg 1991

Bewußtseins-Ort (2)  Nicht alle Menschen lokalisieren ihr Bewußtsein unbedingt im Gehirn. Die Chinesen glaubten es schon immer im Zentrum der Körperschwerkraft, und ihr Begriffszeichen für «Geist» zeigt deutlich ein Herz und die Leber, kein Gehirn. Hindus und Sufis unterziehen sich täglichen Übungen, um das Bewußtsein über den gesamten Körper zu verteilen; von den Zehenspitzen und den Beinen über den Rumpf zur Schädeldecke und wieder zurück. Zweitens sei hier angeführt , daß die moderne Psychologie gezeigt hat, daß das «Wo» und «Wie» unseres Selbstgefühls durch Erfahrungen in der Kindheit bedingt werden und nicht auf einem angeborenen physiologischen Standort des Bewußtseins beruhen. Und schließlich berichten die Parapsychologie sowie Studien anderer Gesellschaften von zahlreichen Fällen, in denen Leute ihr Bewußtsein weit, sehr weit von ihrem eigenen Gehirn entfernt erfahren hatten.

Laut der Theorie des kosmischen Zusammenhanges ist das Bewußtsein allüberall vorhanden: Wir erleben es nur hier und heute, weil wir darauf trainiert sind oder weil man eine entspre-chende Gehirnwäsche mit uns vorgenommen hat.

Laßt uns, wie die Chinesen sagen, unsere Stühle näher ans Feuer rücken und unsere Gedanken ordnen.   - (ill)

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