eule  »Leben Sie jetzt auch in einem riesigen, ungeheuer großen Haus?« erkundigte sich Nella.

»Durchaus nicht, mein Schatz, ganz im Gegenteil«, antwortete Miss Miller, während ihre schwarzen Augen starr in die Ferne gerichtet waren. »Aber zum Schutz gegen das, was man die Ellimente nennt, mein Kind, braucht es nur vier Wände, abgesehen von Fußboden und Decke. Was bedeutet schon Raum?«

»Aber wissen Sie«, sagte Nella beharrlich, »ich verstehe noch immer nicht ganz, für was Sie das gehalten haben, was Sie nicht mehr weglaufen sahen, als Sie aus den vielen kleinen Fenstern schauten, meine ich.«

Miss Miller durchbohrte die leichte Unverständlichkeit dieses Ausspruchs wie mit einer spitzen Nadel.

»Das ist auch gar kein Wunder«, sagte sie bereitwillig. »Ich nämlich auch nicht. Aber siehst du, weil ich ja sowieso nie viel davon gemerkt habe, daß es da war, hatte ich auch kaum das Recht, oder die Berechtigung, jammernd und schreiend treppauf und treppab zu rennen, als es verschwunden war. Was man dann Vernunft nennt, Rosie. Außerdem zogen wir gleich danach um, wie ich schon sagte. Wieviel ist übrigens, sagen wir, fünfundfünfzig weniger siebzehn?«

»Ich glaube«, antwortete Nella nach einer langen Pause, »es muß so was wie dreißig und etwas sein.«

»Na schön, dann ist es also ungefähr dreißig und etwas - was immer du meinst - Jahre her, daß ich zum letztenmal auf dem Turm war.« Miss Miller bückte sich plötzlich und preßte die Finger ihrer rechten Hand auf die große Zehe ihres linken Schuhs. Ihr Gesicht nahm einen etwas verkrampften, leicht überraschten Ausdruck an.

»Tut Ihnen die Beule an Ihrem Fuß da weh?« erkundigte sich ihr Besuch höflich.

»Ab und zu, ja«, bestätigte Miss Miller mit höchster Lautstärke. »Manchmal ganz verflixt. Man nennt das einen Ballen. Es könnte vom vielen Herumlaufen kommen, meint man.«   - Walter de la Mare, Die Orgie - Eine Idylle. Phantastische Erzählungen. Mit Zeichnungen von Edward Gorey. Zürich 1965