Bettlerkönig  Zu Füßen der Madonna lehnte, vergraben in seine Lumpen, den Kopf auf den Bettelsack gestützt, die Geldkatze sichtbar vor sich, mit geschlossenen Augen ein Greis, der nichts Menschliches mehr an sich hatte, denn er war entstellt durch ein blauschwarzes Loch, das ihm das halbe Gesicht zerfressen hatte. Andere Greise, ebenso abgezehrt, erschreckend und zerlumpt wie er, die im Kreis um ihn herumsaßen, umsorgten ihn, riefen die alten Hexen herbei, die ihn verhätschelten wie ein Neugeborenes, ihm das Flaschchen gaben und sein vom Lupus durchlöchertes Gesicht abwischten wie einen Kinderpopo. Und den ganzen Tag kamen Ratsuchende zu ihm, Männer und Frauen - lauter Diebe -, und junge Boten schwärmten aus, und Strolche schleppten Säcke heran, deren Inhalt aufgeteilt wurde und wie durch Zauberhand verschwand: seidene Halstücher, Schals, Mantillen, Leibwäsche, Sonnenschirme, Stiefelchen, Vorhänge, Beutel, die man schüttelte, Uhren, die wie Seifenstücke durch die ausgestreckten Hände glitten, von einer zur andern, goldene Uhrketten, Kolliers, die an den krummen Fingern einen Augenblick hängenzubleiben schienen, Ohrringe, Manschettenknöpfe, Krawattennadeln, kurz aufleuchtend in einer schmutzigen Hand, Brieftaschen und Portemonnaies, die man sich aus der Hand riß, um sie von außen und innen zu untersuchen, Schlüsselbunde, die man grinsend einsteckte, Lebensmittel, die man aufteilte, und auch der Urahn wurde bedacht, er, der seines Volkes so sicher war, daß er sich seinen Anteil gelassen von den schauderhaften Megären in die Lumpen stopfen und unter den Hintern schieben ließ und nicht einmal die Lider hob; er wisperte nur und machte ab und zu eine karge Geste mit seinen zwei Vorderarmstummeln, die wie ein Pfeifchen abgeschnitten waren, und seine Umgebung lauschte aufmerksam seinen Instruktionen und Direktiven und dem ganzen Gewäsch, und abends trugen sie ihn zwei Schritte weit fort in einen Keller. Das also war der alte Marchese, ein Aussätziger, der König der Calade! Seit Pasquale mir von ihm erzählt hatte, nahm ich Mamas Opernglas mit, setzte mich, waghalsig, aber gut getarnt, auf ein hohes Mauerstück und richtete das Glas auf das gräßliche Gesicht dieses alten Mannes, der mir Angst einjagte, stellte es so ein, daß ich ihn ganz nah und groß, so dicht wie nur möglich vor mir hatte und mit ihm meine Welt so verbaute, daß mir schwindlig wurde.

Und eines Tages schlug der Aussätzige die Augen auf, und er sah mich, wie ich ihn sah, und er hob den Kopf und zeigte mit seinen beiden Stümpfen nach mir, und er mußte irgend etwas sagen, laut sagen, denn ich sah, wie sich ganz hinten in seinem Loch die Zunge und die Stimmritze bewegten und die Mundhöhle sich durch die Anstrengung, die er machte, um zu sprechen, mit zähem Schleim füllte, und er fiel hintenüber, und alle die Schakale und Hyänen, alle die abscheulichen Köpfe seiner Höflinge, wandten sich mir zu.  (cend)

 

Bettler

 

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