Bett, fremdes  «Ich bitte Euch, dieses Tagebuch nicht zu lesen, auch nicht nach meinem Tod.

O Gott, was für ein Schmutz, in was für einen Morast bin ich gesunken, Herr, verzeih mir. Ich bin tief gefallen. Gestern bin ich so tief gefallen, daß ich den ganzen Morgen geweint habe. Wie furchtbar, wenn der Morgen kommt, wie schwer, schrecklich, zum erstenmal im Leben aus einem fremden Bett zu steigen, die Unterwäsche vom Tag vorher anzuziehen, ich habe den Schlüpfer zusammengeknüllt, einfach die Strumpfhose angezogen, und bin ins Bad gegangen. Er sagte noch, wieso genierst du dich? Wieso geniere ich mich. Das, was mir gestern vertraut und lieb war, sein scharfer Geruch, seine seidenweiche Haut, seine Muskeln, seine anschwellenden Adern, seine Wolle, an der Schweißtropfen hingen, sein Tierkörper, sein Paviankörper, sein Pferdekörper - alles das war mir am Morgen fremd und zuwider, nachdem er mir gesagt hatte, es tue ihm leid, aber er habe um zehn eine Besprechung, er müsse los. Ich sagte ihm, ich müsse auch um elf irgendwo sein, oh, welche Schande, welche Schande, ich fing an zu heulen und rannte ins Bad und heulte da weiter. Ich heulte unter dem Strahl der Dusche und wusch meinen Schlüpfer, ich wusch meinen Körper, der mir fremd war, so als würde ich ihn auf einem Pornofoto betrachten, mein fremder Körper, in dem irgendwelche Reaktionen abliefen, in dem irgendein Schleim brodelte und kochte und alles anschwoll, schmerzte und brannte. Es ging etwas vor sich, das man unbedingt aufhalten und abtöten mußte, sonst wäre ich gestorben.»

 (Mein Kommentar: Was da vor sich gegangen ist, sehen wir neun Monate später - A. A.)  - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante. Berlin 1991

 

Fremdheit Bett

 

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