estandsaufnahme  Wenn der Blick des Träumenden (er war, wie er sich sagte, mit der 'Bestandsaufnahme' beschäftigt) die unteren Partien verlassen, sich bis zur Spitze emporgeschwungen und dort verharrt hätte, ehe er sich wieder senkte, so würde er eine auf drollige Weise kurze Behaarung von einem fast schwarzen Kastanienbraun festgestellt haben (da die Natur mit dem absoluten Schwarz bei den Haaren der Frauen genauso geizig ist wie mit dem Blau bei Diamanten); sehr große, goldbraune Augen, dunkler als die Haut, aber vom selben Farbton, unter feingezeichneten Brauen und einer kurzen, flach anliegenden Haarfranse; eine stämmige, nicht eben kurze Nase, die niedlich war und wie ein Tierschnäuzchen schnupperte; einen ziemlich großen, auf Fleischgenuß erpichten Mund mit an den Winkeln geschürzten Lippen und scharfen weißen Zähnen; ein kurzes Kinn, aber ebenso fest wie die Beine, das sich gut dem fast runden Oval des Gesichts anpaßte (eher ein Seeschildkrötenei denn ein Vogelei, dachte der Träumende schließlich; er hatte tags zuvor zum Frühstück drei oder vier Eier der ersten Art gegessen; sie sehen wie Pingpongbälle aus, werden roh serviert, aufgeschlagen, in eine Tasse entleert und mit Zitronensaft beträufelt .. .)  - André Pieyre de Mandiargues, Der Akt zwischen den Särgen. In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische Bibliothek 323, zuerst 1959)

Bestandsaufnahme (2)  »Und wie heißt du eigentlich?«

»Jegoruschka.«

»Mithin also Jegori ... Das Andenken des Heiligen Großmärtyrers Jegori des Siegreichen wird am dreiundzwanzigstcn April gefeiert. Und mein heiliger Name ist Pantelej ... Pantelej, Sachars Sohn, ein Cholodow... wir sind die Cholodows ... Und selber bin ich, vielleicht hast du's schon vernommen, aus Tim im Kurskschen Gouvernement gebürtig. Meine Brüder, die haben sich als Bürger einschreiben lassen und gehen in der Stadt ihrem Handwerk nach, ich aber bin Bauer ... bin Bauer geblieben. Vor sieben Jahren, da reiste ich dorthin, das heißt nach Hause. Und war im Dorf und war in der Stadt ... Soll heißen, ich war in Tim. Damals, Gott sei's gedankt, da waren alle noch am Leben und gesund, jetzo aber, da weiß ich nicht recht... könnte schon sein, daß wer gestorben ist... Und wäre schließlich auch Zeit zu sterben, denn es sind alle alt und mehrere älter als ich. Sterben macht nichts, ist gut - nur natürlich nicht sterben ohne Reue. Keine schlimmere Not als ein frecher Tod. Ein frecherTod gefällt dem Teufel zu gut. Wenn du aber reumütig sterben willst, damit dir sozusagen Gottes Hallen nicht verschlossen sind, bete zur Großmärtyrerin Warwara. Sie ist die Fürsprecherin. Ist sie, das stimmt... Denn warum: Gott im Himmel hat ihr solch einen Posten anvertraut, auf daß ein jeder nämlich das volle Recht habe, sie betreffs Reue anzuflehen.«

Pantelej brummte vor sich hin und kümmerte sich allem Anschein nach gar nicht darum, ob Jegoruschka zuhörte oder nicht. Er sprach schlapp, er brummelte in seinen Bart, ohne dabei die Stimme zu heben oder zu senken, indes er vermochte in kurzer Zeit eine rechte Menge zu erzählen. Alles, was er da erzählte, bestand aus lauter Bruchstücken, die nur sehr wenig Zusammenhang untereinander hatten und für Jegoruschka völlig uninteressant waren. Es kann sein, daß er im Grunde genommen nur deswegen sprach, um jetzt, am Morgen nach der Nacht, die er im Schweigen verbracht, laut eine Bestandsaufnahme seiner Gedanken vorzunehmen, ob auch alle wirklich zu Hause seien.  - Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)

Bestandsaufnahme (3)  

 - Georges Pichard

Bestandsaufnahme (4)  Was für Frauen kannte er denn? Verkäuferinnen, Sprechstundenhilfen, Cousinen zweiten und dritten Grades, Joggerinnen, Frauen mit Hund, Politessen. Nein, das war doch einfach zu lächerlich.

Dann fiel Hugo Rhäs mit einem Mal Frau Helfrich ein.

Frau Helfrich war eine Kollegin. Musiklehrerin. Schätzungsweise vierunddreißig. Sie war nicht nur die erste einigermaßen ansprechende Frau, die ihm einfiel, sondern bei weiterem Nachdenken auch die einzige. Warum nur Frau Helfrich? Sie hatte einen breiten Mund. Aber das war eher ein Argument gegen sie.

Das ist wieder mal typisch für mich, dachte er, da kommt mir mal eine Frau in den Sinn, und gleich muß ich sie wieder demontieren. Hugo Rhäs beschloß, diesmal bei der Sache zu bleiben und nicht gleich wieder klein beizugeben. Schließlich waren das nur Äußerlichkeiten. Also weiter.

Redet etwas zu laut. Lacht zu laut. Das eine hängt eben mit dem anderen zusammen. Und ein Lachen ist doch eher angenehm. Obwohl man sich schon überlegen muß, wie so eine Frau dann im Bett ist. Lacht die dann auch? Und auch so laut? War das dann so, wie er es aus manchen Filmen kannte, wo die Paare mit dem Kopf unter der Decke lagen und rumalberten? Das würde ihn nicht erregen. Im Gegenteil.

An ihre Augen konnte er sich nicht erinnern. Der Mund geschminkt. Die Lider wahrscheinlich auch. Die Haare hatten so eine Unfarbe. Grau, würde er sagen, aber das war wohl eher eine Art blond. Musiklehrerinnen müssen so sein. Etwas laut und lustig. Anders bringt man die Kinder nicht zum Singen. Ihre Figur? Die konnte er nicht so recht einschätzen, was unter anderem an ihrer Kleidung lag. Offen gestanden wieder ein Minuspunkt. Sie trug immer Hosen und Sweat-Shirts. Unisex.

Hugo Rhäs schloß für einen Moment die Augen. Eine konsequente Auflistung war das nicht gerade. Keine Arbeitsgrundlage. Aber vielleicht war das auch gar nicht nötig. Denn mit einem Mal erschien ihm ein Bild, das alle anderen Vorstellungen überstrahlte. Er sah einen Blusenausschnitt vor sich. Dieser Ausschnitt war recht unscharf und so, als habe er ihn unter sehr schwierigen Bedingungen und nur für sehr kurze Zeit zu Gesicht bekommen. Dennoch besaß dieses Bild durchaus eine Wirkung, Bei aller Kürze, Unschärfe und unglücklichem Blickwinkel konnte er doch relativ deutlich einen Busen erkennen. Und zwar sah man diesen Busen kurz bevor sich die Bluse beim Aufrichten nach einem Bückvorgang wieder behutsam über die Haut legte. Es war ein eher kleiner Busen. Die Brustwarzen waren hingegen eher groß. Es waren Brustwarzen, bei denen Warze und Warzenhof ineinander übergingen, so daß eine Warze an sich nicht zu erkennen war.

„Ja, dieser Busen könnte durchaus zu Frau Helfrich passen." Mit diesem Satz rüttelte sich Hugo Rhäs wieder wach. Er schüttete Kaffee nach. Tatsächlich stieg ein Gefühl der Erregung in ihm auf. Erstaunlich schnell war das alles gegangen. Und gar nicht so kompliziert wie sonst. Wäre da nicht dieses Lachen. Ein Lachen lacht auch schnell jemanden aus. Vielleicht war es das, was ihm zu schaffen machte. Aber sie würde auch nicht immer lachen. Niemand hatte immer etwas zu lachen.   - Frank Witzel, Blue Moon Baby. Hamburg 2015 (Edition Nautilus, zuerst 2001)

 

Beobachtung Tatsache Bilanz

 

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