esserung  In der Königlichen Besserungsanstalt wurde der Kontakt mit den verderbten Gefährtinnen neutralisiert durch den täglichen Besuch gewisser frommer und aristokratischer Damen, die durch ihre Anwesenheit, ihre Worte und ihr Beispiel den Zöglingen den blühenden Pfad zur Tugend zeigen sollten. Aber die vertrockneten und bebarteten Damen, ohne Busen und ohne Eierstock, hatten die heilsame Wirkung, die Zöglinge der Anstalt mit Besorgnis zu erfüllen und ihre noch zögernde Einbildungskraft auf die Paradiese des Lasters zu richten. Es ist ein schwerer Irrtum, das Kaleidoskop der Tugend garstigen und abstoßenden Frauen anzuvertrauen. Die Reformatoren des weiblichen Geschlechts müßten, für einen gerechten Ausgleich, die glänzendsten Kokotten auffordern, die Sträflinge zu besuchen und ihnen zu verstehen zu geben, daß sie so schön, so anziehend und verführerisch geworden seien, weil sie Bescheidenheit und Keuschheit geübt haben. Während man die alten und frommen und garstigen und aristokratischen und bebarteten Damen nützlich verwenden könnte, um den Zöglingen zu zeigen, in welches Unglück Ausschweifung und zügelloser Lebenswandel führen.

Die älteren Gefährtinnen lehrten Maddalena alle Künste der Galanterie, vom heimlich herbeigeführten Abort bis zur Entolage. Sie machte einen vorbereitenden theoretischen Kurs der Prostitution durch, und als sie die Anstalt verließ, um unter das väterliche Dach heimzukehren, verzieh sie ihren lieben Eltern die übermäßig strenge Maßregel, die sie vor beinahe einem Jahr (zu ihrem Besten) ergriffen hatten.

Die Eltern ihrerseits verziehen ihr den jugendlichen Fehltritt, erklärten ihr aber, daß, wo es sich um die gute Sitte handelte, ihre Ehrenhaftigkeit keine Ausnahmen zulassen dürfe.

Kurze Zeit nach ihrer Rückkehr nannte Maddalena sich Maud, denn sie war die Geliebte eines großen Industriellen und eines sehr reichen Priesters geworden. Ihre Eltern — arm, aber rechtschaffen - störten ihre Karriere nicht, um so weniger, als die Mutter das Recht hatte, sich alltäglich nach ihrem Befinden zu erkundigen sowie nach den übriggebliebenen Resten der Küche.

Der Vater erklärte: nein, ich nehme nichts an, nahm aber selbst Banknoten an, bediente sich bei den Zigarren des Industriellen und bei den Likören des Priesters, aus dessen Mantel er verstanden hatte, einen prachtvollen Gehrock zu machen, den er zu ganz großen Gelegenheiten trug und zu Besuchen bei der Tochter. Und da diese noch ganz neue Schuhe und Strümpfe ablegte, unternahm der Vater es, sie zu verkaufen, teilte natürlich dann den Ertrag in zwei gleiche Teile: einen für sich und den anderen für seine Frau. - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

Besserung (2)  Kurz darauf also, nachdem ick Mensch  jeworden war, und natürlich die erste elterliche Keile des Lebens überstanden hatte, schickte mir mein Vata in die Schule. Hierin lernte ick nischt — und wurde mit Zensur und viel Keile baldijst entlassen. Das war jut, wat nun? Nun starb mein Vata, und meine Mutta jing ins Ausland, vielleicht nach Schöneberg, indessen unjewiß. Des war auch jut, was aba nun? Nun überließ ick mir selber und studierte Straße. Ick wurde Straßenjunge. Ick machte Kutschen uff und machte sie wieder zu; kurzum ick nährte mir rötlich. Ick trank damals noch Kirsch. Denn in der Blüte des Lebens liebt man das Jetränk noch; im Alter natürlich und bei zunehmendem Verstande neigt man sich mehr zu Kümmel. Un richtig, ick neigte mir mehr zu Kümmel. Nu merkte ick aba, daß meine Moral abnahm, und derowejen jing ick rauß vor's Hallesche Dor in die Kinderbewahranstalt und ließ ma bessern.  - Adolf Glassbrenner, Nante Eckensteher
 
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