esinnung
In Folge des unvermeidlich Zerstreuten und Fragmentarischen
alles unsers Denkens, und des dadurch
herbeigeführten Gemisches der heterogensten Vorstellungen, welches
auch dem edelsten menschlichen Geiste anhängt, haben wir eigentlich
nur eine halbe Besinnung und tappen mit dieser im Labyrinth
unsers Lebenswandels und im Dunkel unserer Forschungen umher:
helle Augenblicke erleuchten dabei
wie Blitze unsern Weg. Aber was läßt
sich überhaupt von Köpfen erwarten, unter denen selbst der weiseste
allnächtlich der Tummelplatz der abenteuerlichsten und unsinnigsten
Träume ist und von diesen kommend seine
Meditationen wieder aufnehmen soll? Offenbar ist ein so großen
Beschränkungen unterliegendes Bewußtseyn zur Ergründung des Räthsels
der Welt wenig geeignet, und ein solches Bestreben müßte Wesen
höherer Art, deren Intellekt nicht die Zeit zur Form, und
deren Denken daher wahre Ganzheit und Einheit hätte, seltsam
und erbärmlich erscheinen. Ja, es ist sogar zu bewundern, daß
wir durch das so höchst heterogene Gemisch der Vorstellungs-
und Denkfragmente jeder Art, welche sich beständig in unserm
Kopfe durchkreuzen, nicht völlig verworren werden, sondern uns
stets noch wieder darin zurechtfinden und Alles aneinanderzupassen
vermögen. Offenbar muß doch ein einfacher Faden
daseyn, auf dem sich Alles aneinanderreiht: was ist aber dieser?
- (
wv
)
Besinnung (2) Kurz vor 22 Uhr trat ein Mann ans offene Fenster und gab zwei Pistolenschüsse auf Jaurès ab. Einer durchschlug seinen Schädel und blieb in dem Holzbalken hinter dem Tisch stecken. Jaures überlebte den Anschlag nur wenige Minuten.
Der Täter wurde gefaßt. Es war der 29jährige Raoul Villain. Ein hitziger
Wirrkopf, der später in der Vernehmung angab, er habe eigentlich ein Attentat
auf den deutschen Kaiser geplant, dies aber kurzfristig wieder verworfen, um
sich dann auf Jaurès zu besinnen. - Nachwort zu: Léo Malet, Stoff
für viele Leichen. Reinbek bei Hamburg 1989 (zuerst 1982)
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