Besessenheitssymptome    Der Arzt ergriff das Handgelenk des Diakons und konzentrierte sich darauf, den Rhythmen seines Pulsschlags zu folgen. Nach einigen Minuten hob er den Blick zu seinem Patienten und machte eine gehörige Pause, so als müsse er noch überlegen, bevor er ein Urteil fällte. »An den Pulsschlägen spürt man keinerlei teuflische Präsenz. Gewöhnlich genügt ein einziger Teufel, um den ganzen Körper in Unruhe zu versetzen. Der Puls reflektiert die inneren Stürme durch plötzliches Stolpern und unregelmäßige Beschleunigung oder Verlangsamung. Nichts von alledem ist bei dir zu spüren.«

Der Diakon freute sich im stillen über diesen ersten Bescheid. Dann packte der Doktor ihn am Arm und zog ihn zu sich herab, um ihm von nahem in die Augen zu sehen.

»Hier ist etwas, das mir nicht gefällt«, sagte er und hob für eine kurze Weile den Blick.

Dann sah er wieder zuerst in das eine, dann in das andere Auge, wobei er die Lider mit den Fingern hochhob und ihm seinen warmen Atem in die Augen blies. »Da ist es«, sagte der Doktor, »ich sehe da etwas wie eine rote Figur, die auch diejenige des Bösen sein könnte. Eine Rötung im Auge und grüne Striche in der Pupille sind gewöhnlich ein Signal, das aus den Schwefelflammen kommt, in die Satan sich hüllt. Spürst du ein Brennen in den Augen?«

»Ich spüre ein Brennen, Doktor, aber ich bin durch den Wind gelaufen und mir ist Staub in die Augen gekommen. Es kann der Böse sein, wie Ihr sagt, aber eher noch könnte es der Straßenstaub sein.«

»Wind und Staub sind elementare Folgen des stürmischen Wetters, aber es sind auch Instrumente, derer sich der Böse zuweilen bedient.«

Der Doktor schloß einen Moment lang die Augen, dann fuhr er fort, den Diakon auszufragen. »Verursacht das Aussprechen des Namens Gottes bei dir seelische Erschütterungen und innere Stürme?« »Nein.«

»Und das Zeichen des Kreuzes?«

»Nur wenn ich mich einer Kirche nähere oder sie betrete. Es sind die Orte Gottes und nicht sein Name, die mir die Beschwerden verursachen, von denen ich gesprochen habe.«

Der Doktor sah ihn mit der eisigen Miene eines Inquisitors an.

»Ein gemeinsames Symptom der Besessenen ist ein lästiges Kribbeln unter der Haut, wie von Ameisen, die unter der Haut durchlaufen, hinter den Ohren oder an Armen und Händen.«

»Nein, ich glaube dieses Ameisenkribbeln habe ich nicht.«

»Palpitationen auf der Haut? Plötzliches Klopfen da oder dort an der Oberfläche des Körpers?« »Ich würde sagen nein, soweit ich mich erinnere.«

»Plötzliche Wärme, auch im Winter, die vom Kopf aus zu den Füßen absinkt und von den Füßen wieder in den Kopf steigt? Wie ein grundloses Fieber von kurzer Dauer?«

»Ich fühle die Wärme des Fiebers, wenn ich Fieber habe, sonst nicht.«

»Geschieht es dir, daß du einen Kloß im Hals spürst, der sich ausdehnt und dir infolge von Überatmung fast die Luftröhre verschließt und dann so trocken und hart wird, daß deine Stimme sich trübt?«

Den Diakon durchlief ein Schauer. Daß den Hals ein erstickender Kloß verschloß, das hatte er dem Kardinal della Torre durch jene Verhexung angetan. Ob der Böse injener Nacht in den Leib des Kardinals transmigriert war? Aber mehr als ein Gedanke war es der Wunsch, daß die Rollen jetzt vertauscht seien und der Kardinal nun für sich selbst einen Exorzisten suchen müsse.

»Ich habe nie einen solchen Kloß im Hals gehabt, Doktor«, sagte der Diakon.

»Eine geschwollene Zunge, die aus dem Mund tritt und sich draußen verlängert wie bei einem Erhängten?« »Nein Doktor, meine Zunge bleibt an ihrem Platz.« Der Doktor fuhr mit seinen Fragen fort, mit betont professioneller Kälte. Der Diakon, der auf etwas Wohlwollen oder beschützendes Verständnis gehofft hatte, wie man es von denen, die sich mit unserer Gesundheit befassen, erwartet und beinah fordert, fühlte sich plötzlich der Willkür dieses alten Inquisitors ausgeliefert, der ihn gnadenlos bedrängte.

»Spürst du manchmal kaltes Wasser deinen Rücken herunterlaufen, auch an heißen Tagen?« »Nein, Doktor.«

»Ein Druck im Kopf und etwas wie eine Ausweitung des ganzen Körpers?« »Wirklich nie.«

»Akute Nadelstiche im Gehirn und an anderen Körperteilen?«

»Keine Nadelstiche, Gott sei Dank.«

»Spürst du nie ein Gefummel wie von Fröschen oder Würmern oder Ameisen am Eingang des Magens? Oder ein Bündel Werg, das dir den Atem verschließt?«

»Manchmal ein Schweregefühl durch schlechte Verdauung, wenn ich Pfefferschoten oder Schnecken gegessen habe«.

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»Zuallererst wirst du mir sagen, ob es dir manchmal geschehen ist, unbekannte Sprachen zu sprechen oder solche Sprachen zu verstehen, wenn sie von anderen gesprochen werden, geheime oder vergessene oder zukünftige oder verborgene Tatsachen zu entdecken oder in diesem Zusammenhang Gedanken oder Sünden fremder Menschen zu erkennen. In so starke physische Erregung zu geraten, daß nicht einmal wackere Männer ihrer Herr werden können. Den Klang einer inneren Stimme zu vernehmen, ohne daß du einen Sinn zu begreifen vermagst. Völliges Vergessen von Dingen, die du in scheinbar natürlicher und ruhiger Verfassung gehört hast. Von einer mächtigen Kraft zurückgehalten zu werden, die dich daran hindert, die täglichen Gebete oder Gottesdienste zu zelebrieren.«

Hier machte der arme Diakon dem Doktor ein kleines Zeichen, der sich unterbrach, um ihm zuzuhören. »Außer diesem Niesen und dem Husten hält mich keine Kraft zurück und ich werde von keinem der von Euch genannten Gefühle geplagt.«

»Fahren wir also fort. Geschieht es dir, daß dir plötzlich jede körperliche und geistige Energie entschwindet, so daß du kraftlos zu Boden fällst? Fühlst du dich je von einer inneren Kraft zu den Abgründen gezogen? Oder zu einem gewaltsamen Tod durch deine eigene Hand?« Der Diakon schüttelte den Kopf als Zeichen der Verneinung.

»Und jetzt muß ich dir eine Frage stellen, die dir jeder Exorzist stellen wird.« Der Diakon unterbrach ihn.

»Ihr sprecht von einem Exorzisten, aber ich hoffe, es wird nicht nötig sein, mich einem Exorzismus zu unterziehen. Ihr redet davon wie von einer nahe bevorstehenden und sicheren Sache, und das beunruhigt mich.«

»Darüber sprechen wir am Schluß. Vorläufig muß ich dich noch fragen, ob es dir manchmal geschieht, dich plötzlich dumm, blind, lahm, taub, stumm, launisch zu fühlen oder von plötzlichem Entsetzen gepackt zu werden.« Der Diakon sah den Arzt mit großem Erstaunen an. Er wollte keinen einzigen Gedanken an diese lange Frage verschwenden.   - Luigi Malerba, Die nackten Masken. Berlin 1995

Besessenheit Symptom

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