Beschwörung, orientalische   »Jadoo?*« sagte Kim, halb zurückschreckend. Er mochte die weißen blicklosen Augen nicht, Mahbubs Hand legte sich auf seinen Nacken und drückte ihn nieder, bis seine Nase nur einen Zoll überm Boden war.

»Sei ruhig. Nichts Übles geschieht dir, mein Sohn. Ich stehe für dich ein.«

Kim konnte nicht sehen, was die Frau tat, er hörte nur viele Minuten lang das Klicken ihres Schmucks. Ein Zündholz leuchtete in der Dunkelheit auf; er vernahm das wohlbekannte Knistern und Surren von Weihrauchkörnern. Dann füllte sich der Raum mit Rauch - schwer, aromatisch, betäubend. Durch wachsende Schläfrigkeit hindurch hörte er die Namen von Teufeln - von Zulbazan, dem Sohn des Eblis, der in Bazaren und Paraos sein Wesen treibt und all den üblichen boshaften Schabernack der Landstraße verübt; von Dulhan, der unsichtbar in Moscheen umgeht, zwischen den Pantoffeln der Gläubigen sich einnistet und sie am Beten hindert; und von Musboot, dem Dämon der Lüge und der Panik. Huneefa, bald ihm ins Ohr flüsternd, bald wie aus ungeheurer Entfernung redend, berührte ihn mit schauderhaft weichen Fingern, aber Mahbubs Griff wich nicht von seinem Nacken, bis der Knabe, mit einem Seufzer zusammensinkend, das Bewußtsein verlor.

»Allah! Wie er sich wehrte! Es wäre uns nie gelungen ohne Betäubung. Das macht, nehme ich an, sein weißes Blut«, sagte Mahbub aufatmend. »Fahre fort mit dem Dawut1. Gib ihm vollen Schutz.«

»O Hörer! Du, der du hörest mit Ohren, sei bei uns! Höre, o Hörer!« Huneefa winselte, ihre toten Augen drehten sich nach Westen. Der dunkle Raum füllte sich mit Heulen und Schnaufen.

Vom Balkon draußen erhob eine umfangreiche Gestalt ihren runden Kugelkopf und hustete nervös.

»Unterbrecht nicht diese bauchredende Nekromantin, mein Freund«, sprach die Gestalt auf englisch. »Ich nehme an, daß es recht peinlich für Euch ist, aber ein erleuchteter Beobachter darf sich nicht aus der Fassung bringen lassen.«

». . . Ich will ihnen Fallstricke legen zu ihrem Verderben! Oh, Prophet, habe Geduld mit den Ungläubigen! Laß sie eine Welle in Frieden!« Huneefas Antlitz, nordwärts gedreht, verzerrte sich schrecklich, und es war, als ob Stimmen von der Decke herab ihr antworteten.

Hurree Babu nahm sein Notizbuch wieder vor, auf dem Fensterrand hockend, aber seine Hände zitterten. Huneefa, in einer Art trunkener Ekstase, wiegte sich, mit gekreuzten Beinen neben Kims stillem Kopf sitzend, hin und her und rief in der alten Ordnung des Rituals Teufel nach Teufel an und befahl ihnen, dem Knaben fernzubleiben bei all seinem Tun.

»Mit Ihm sind die Schlüssel der verborgenen Dinge! Keiner kennt sie außer Ihm. Er kennt, was auf dem trockenen Lande und was in dem Meere ist!« Wieder brachen die unirdischen, fauchenden Antworten hervor.

»Ich - ich nehme an, daß nichts Bösartiges bei dieser Operation ist?« sagte der Babu, die bebenden und zuckenden Halsmuskeln Huneefas beobachtend, indes sie in Zungen lallte. »Es - es ist doch wohl nicht wahrscheinlich, daß sie den Knaben umgebracht hat? Wenn - dann verweigere ich mein Zeugnis beim Verhör . .. Welchen hypothetischen Teufel nannte sie zuletzt?«

»Babuchen«, sagte Mahbub im Dialekt, »ich habe keinen Respekt vor den Teufeln von Hind, aber mit den Söhnen von Eblis ist das eine andere Sache; und ob sie nun jumalee2 oder jullalee3 sind, jedenfalls lieben sie keine Kafirs4

»Du meinst also, es wäre besser, ich ginge?« sagte Hurree Babu, sich halb erhebend. »Es sind natürlich entmaterialisierte Phänomene. Spencer sagt ~«

Huneefas Krisis endete, wie derlei Zustände immer, in einem heulenden Paroxysmus. Schaum auf den Lippen, lag sie erschöpft und bewegungslos neben Kim, und die wahnsinnigen Stimmen schwiegen.

* Magie 1 Beschwörung - 2 wohlwollend  3 bösartig  4 Ungläubige

   - Rudyard Kipling, Kim. Nach (ki)

Beschwörung Orient

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