erufsehre  Der Herr, der einen gebrauchten Regenmantel und einen weichen Hut gekauft hat; der hastig raucht und in einem schäbigen Hotelzimmer auf und ab geht, das er im voraus bezahlen mußte - dieser Herr hat vor zehn Jahren beschlossen, daß er, wenn er erwachsen wäre, ein Killer werden würde. Jetzt ist er erwachsen und keinerlei neue Gegebenheiten - keine Liebesaffären keine gesunden Morgenmahlzeiten, keine kirchlichen Hymnen - haben ihn im geringsten von seinem Entschluß abgebracht, der nicht nur eine kindliche Laune war, sondern eine weise und besonnene Wahl. Nun braucht ein Killer bekanntlich nur wenige Dinge - es handelt sich aber um besondere Dinge. Er muß eine zugleich eindrucksvolle und trügerische Waffe, eine vollkommene Zielsicherheit, einen Auftraggeber und eine Person zum Töten haben; der Auftraggeber seinerseits muß Haß und Interesse haben und eine Menge Geld. Das Schwierige ist, sich alle diese Voraussetzungen gleichzeitig zu verschaffen. Da sein Temperament zwischen Fatalismus und Aberglauben schwankt, ist er davon überzeugt, daß ein wahrer Killer sich notgedrungen in der vorausgesetzten Lage befindet, die sich aber - zumal es sich um eine komplexe und höchst unwahrscheinliche Lage handelt - keineswegs dann ergibt, wenn der Killer ein Fachmann und die Waffe zielsicher ist, wenn irgendwo ein großer Haß besteht und wenn genug Geld zum Töten da ist, sondern dann, wenn etwas am Himmel, in den Gestirnen, oder - wenn es ihn gibt - bei Gott selbst sich einschaltet und alle jene verstreuten Ereignisse zusammenbringt, die oft so weit auseinanderliegen, daß sie sich nicht begegnen können. Er möchte einer Entscheidung würdig sein, die er ohne zu zögern als schicksalhaft bezeichnet. Nachdem er ein Kleid wie eine Mönchskutte gewählt hat, hat er beschlossen, die perfekte Zielsicherheit in Person zu werden. Er ist ein Novize, aber mit der Berufung zum Asketen. Er hat sofort einen Irrtum erkannt, dem alle zukünftigen Killer verfallen: sie üben mit künstlichen Zielen. Das künstliche Ziel stellt aber das Asketentum des Killers nicht auf die Probe. Dieses an sich unanfechtbare Prinzip hat den Killer zu einigen Schlüssen geführt: er hat beschlossen, daß er die vollkommene Zielsicherheit unter vollkommen asketischen Bedingungen erwerben muß. Er muß nicht treffen, er muß töten. Keine Tiere, denn die wollen getötet werden. Menschen? Aber einen Menschen gratis zu töten wäre eitler Exhibitionismus. Es bleibt ihm nur eine einzige Lösung - und die ist wirklich asketisch: er muß das Zielen an sich selbst üben. Er hat die Waffe jetzt hoch oben in einer Ecke des Zimmers angebracht und eine Schnur am Abzugshahn befestigt. Der Killer überlegt. Er wird jetzt auf sich zielen. Und dann? Verfehlt er sich, ist er gerettet aber als Killer disqualifiziert; trifft er sich, ist jemand tot: der Killer. Er zögert lange. Wir wissen jedoch, daß am Ende sein berufliches Gewissen obsiegt. - (pill)

Berufsehre (2) Eine andere interessante Figur war der Mister Memory. Die Idee dazu war mir bei einem Artisten gekommen, den ich in einem Varieté gesehen habe. Er nannte sich Datas — wegen der Daten. Die Leute im Saal fragten ihn nach bestimmten Ereignissen, und er gab die genauen Daten an. »Wann ist die Titanic gesunken?« Es gab auch sehr knifflige Fragen. Fragen, bei denen gemogelt wurde, die ein Eingeweihter stellte. Eine Frage war: »When did Good Friday fall on a Tuesday?« (Wann fiel Karfreitag auf einen — bzw. an einem — Dienstag?) Und die Antwort lautete: »Karfreitag war ein Pferd, das in Wolverhampton lief, und es fiel zum erstenmal bei einem Hindernis am Dienstag, den 22. Juli 1864.«

Ja, der Mister Memory war auch eine sehr gute Figur. Ich fand toll, wie er umkam. Er stirbt im wahrsten Sinn an seinem Berufsethos. Robert Donat fragt ihn in dem Varieté: »Was sind die neununddreißig Stufen?« Und er kann einfach nichts anders, als alles zu sagen, was er weiß: »Das ist ein Spionagering«, undsoweiter. Und natürlich schießt ihn der Chef des Rings, der in der Loge sitzt, mit einem Revolverschuß nieder. Das ist etwas, was man in Ihren Filmen häufig findet und was große Genugtuung bereitet: eine Figur, die ihrem Charakter treubleibt bis zum Außersten, bis in den Tod, mit einer unerschütterlichen Logik. Die Dinge entwickeln sich vom Pittoresken zum Pathetischen, was den Tod etwas lächerlich und grandios zugleich erscheinen läßt.

Ich mag das sehr und auch dieses Pflichtgefühl. Mister Memory weiß, was die neununddreißig Stufen bedeuten, man stellt ihm eine Frage, und er muß antworten. Aus demselben Grund habe ich auch die Lehrerin in The Birds sterben lassen. - Alfred Hitchcock, in: François Truffaut, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973 (zuerst 1966) 

Berufsehre (3) Seine Stimme klang normal, resigniert. Er hatte eine ziemlich gute Geschäftsbilanz vorzuweisen — siebenundzwanzig Morde, es sei denn, er log —, und er hatte sich seelisch auf das gleiche Ende vorbereitet. Seine Gelassenheit angesichts der Situation machte mich irgendwie fertig, und ich versuchte, meinen Kopf auszuschalten. Ich durfte nicht darüber nachdenken. Andernfalls würde ich es nicht tun können. Abgesehen von dieser Pigmentstörung auf seiner Stirn, deren Farbe sich von rosa nach fast weiß verändert hatte, gab es keinerlei Hinweis auf Angst in seinem Gesicht.

«Angenommen, Mr. Wright, nur mal angenommen, ich lasse Sie jetzt laufen? Was würden Sie dann tun?»

«Tja», sagte er, «das Geld von Miss Jannaire habe ich schon, wissen Sie, und ich hab's Francis geschickt. Wahrscheinlich hat er damit ein paar Rechnungen bezahlt. Aber selbst wenn ich's noch hätte, müßte ich meinen Auftrag doch ausführen. Dazu verpflichtet mich meine Berufsehre. Wenn man einen Auftrag erst mal angenommen hat, kann man sich's hinterher nicht mehr anders überlegen, weil sich das rumsprechen würde. Und wenn sich erst mal rumspricht, daß man einen Kunden sitzengelassen hat, denkt doch jeder, man hätte die Nerven verloren, und dann fangen sie natürlich auch an, sich über ältere Aufträge Gedanken zu machen. Wenn man erst mal die Nerven verliert, könnte es ja auch sein, daß man bereit ist, über sie zu reden.»

«Wen meinen Sie mit diesem ‹sie›? Ich glaube nicht, daß Wright Ihr richtiger Name ist, aber ich glaube auch nicht, daß Sie irgendeiner Mafia-Truppe angehören.»

«Ich kann Ihnen nichts sagen, was diese <sie> betrifft, Mr. Norton. Aber für die Mafia arbeite ich nicht, da haben Sie recht. Ich weiß nicht, ob ich meinen Plan weiterverfolgen würde, aber ich muß immer noch dafür sorgen, daß Sie Miami verlassen. So lautete der Auftrag, den ich angenommen habe, verstehen Sie.»

«Welchen miesen kleinen Trick hatten Sie denn als nächstes auf Lager?»

«Eine ordentliche Tracht Prügel. Ich hätte Sie zusammenschlagen lassen. Nicht wirklich gefährlich, aber doch genug, um Ihnen eine Scheiß-Angst einzujagen. Keine zerbrochenen Knochen, kein entstelltes Gesicht, aber eine ordentliche Tracht Prügel mit Motorradketten. Davon hätte ich Miss Jannaire nichts erzählt, weil ich nämlich mehr von diesen Dingen verstehe als sie. Und ich glaube schon, daß eine Tracht Prügel, mit ein paar üblen blauen Flecken und allem. Ihnen den Rest gegeben hätte.»

«Ja, wahrscheinlich. Aber wenn ich Sie jetzt laufenlasse, würden Sie dann nicht aus Miami verschwinden und nach Jacksonville zurückkehren?»

«Nein, das würde nichts bringen. Mein Kontaktmann hier unten würde einen anderen Mann finden, und er würde für Miss Jannaires Geld eine Leistung bringen müssen. Selbst wenn ich es ihm zurückgäbe, damit er den Job von einem anderen erledigen läßt, würde Ihnen das überhaupt nichts nutzen — und mir auch nicht.»

«Angenommen, ich zahle Ihnen auch ein Honorar - sagen wir mal, dreitausend —, um Jannaire umzulegen. Könnten Sie das machen?»

«Nein. Das würde gegen meine Berufsehre verstoßen.»

Ich drückte die Zigarette in einem der großen, mit Sand gefüllten Standaschenbecher aus.

Wright erstarrte deutlich sichtbar, aber das war die einzige Bewegung, die er machte. Ich erschoß ihn. Er fiel nach vorn aus dem Stuhl und krümmte sich ein wenig, als er lautlos auf dem weißen Florteppich starb. - Charles Willeford, Miami Love. Reinbek bei Hamburg 1993 (rororothriller 3107, zuerst 1988)

Berufsehre (4)

- Charles M. Schulz, You've done it again, Charlie Brown. London 1971 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1958)

Berufsehre (5)   Außer den wechselnden Zuschauern waren auch ständige, vom Publikum gewählte Wächter da, merkwürdigerweise gewöhnlich Fleischhauer, welche, immer drei gleichzeitig, die Aufgabe hatten, Tag und Nacht den Hungerkünstler zu beobachten, damit er nicht etwa auf irgendeine heimliche Weise doch Nahrung zu sich nehme. Es war das aber lediglich eine Formalität, eingeführt zur Beruhigung der Massen, denn die Eingeweihten wußten wohl, daß der Hungerkünstler während der Hungerzeit niemals, unter keinen Umständen, selbst unter Zwang nicht, auch das Geringste nur gegessen hätte; die Ehre seiner Kunst verbot dies. Freilich, nicht jeder Wächter konnte das begreifen, es fanden sich manchmal nächtliche Wachgruppen, welche die Bewachung sehr lax durchführten, absichtlich in eine ferne Ecke sich zusammensetzten und dort sich ins Kartenspiel vertieften, in der offenbaren Absicht, dem Hungerkünstler eine kleine Erfrischung zu gönnen, die er ihrer Meinung nach aus irgendwelchen geheimen Vorräten hervorholen konnte. Nichts war dem Hungerkünstler quälender als solche Wächter; sie machten ihn trübselig; sie machten ihm das Hungern entsetzlich schwer; manchmal überwand er seine Schwäche und sang während dieser Wachzeit, solange er es nur aushielt, um den Leuten zu zeigen, wie ungerecht sie ihn verdächtigten. - Franz Kafka, Ein Hungerkünstler, nach (kaf)

Berufsehre (6)  Der König vonTsi litt an einer Krankheit, daß er alle genossene Speise wieder von sich geben mußte. Da sandte er nach Sung, um den berühmten Arzt Wen Dschï holen zu lassen. Wen Dschï kam, und als er des Königs Krankheit untersucht hatte, sprach er zum Thronfolger: »Des Königs Krankheit läßt sich zwar heilen, allein wenn ich des Königs Krankheit heile, so wird er mich sicher töten lassen.« DerKronprinz sprach: »Weshalb?« Wen Dschï antwortete: »Wenn man den König nicht in Wut bringt, so kann seine Krankheit nicht besser werden. Erzürne ich aber den König, so muß ich sicher sterben.« Da verneigte sich der Kronprinz vor ihm und bat inständig und sprach: »Wenn Ihr wirklich des Königs Krankheit heilt, so werde ich und meine Mutter bis zum Tod dem König entgegentreten und der König wird sicher auf mich und meine Mutter hören. Ihr braucht Euch also nicht zu furchten.« Wen Dschï sprach: »Ja, ich will durch meinen Tod den König heilen.« Da machte er mit dem Kronprinzen eine Zeit aus, um mit ihm zusammen zum König zu gehen. Aber als jener zum König gehen wollte, da erschien er nicht. So machte er es dreimal. Darüber ward der König schon ernstlich böse. Als Wen Dschï dann endlich erschien, da zog er seine Schuhe nicht aus, sondern stieg mit den Schuhen auf das Lager des Königs und trat auf sein Kleid, während er sich nach seinem Befinden erkundigte. Der König wurde zornig und sprach kein Wort mit ihm. Da tat Wen Dschï einige Äußerungen, die den König vollends in Wut brachten. Scheltend erhob sich der König, und seine Krankheit war geheilt. Der König aber in seiner Wut ließ sich nicht beruhigen und befahl, daß man Wen Dschï lebendig in heißem Öl kochen solle. Der Kronprinz und die Königin traten mit allen Kräften für ihn ein, aber sie konnten nichts erreichen. Tatsächlich wurde Wen Dschï in einen Kessel gesteckt und in heißem Öl gekocht. Drei Tage und drei Nächte hatte er schon geschmort, ohne daß sich die gewünschte Wirkung zeigte. Da sprach Wen Dschï: »Wenn Ihr mich wirklich töten wollt, so müßt Ihr mich ganz mit einem Deckel zudecken, damit die Lebenskraft erstickt.« Da befahl der König, ihn zuzudecken. Darauf starb Wen Dschï. - (lueb)

Berufsehre (7)  

Berufsehre (8)  Der Galgen schreckt mich nicht. Den Tod hab ich nie gefürchtet; das überlasse ich den Feiglingen, die Gott sei Dank durch die angedrohten Strafen von See ferngehalten werden und sich begnügen, an Land zu räubern, Witwen und Waisen zu betrügen, die Nachbarn zu schädigen, und dennoch für anständig gelten. Würden diese Halunken ungestraft den Ozean überfluten, dann wäre es bald aus mit jeder vernünftigen Freibeuterei und der Ruin von Seefahrt und Handel unaufhaltsam.   - Mary Read, Piratin, nach (bord)

Berufsehre (9)  Tortaro hatte ein abgerissenes Ohr und die lange Narbe eines Säbels im Gesicht. Er rühmte sich, fast alle seine Morde selber ausgeführt zu haben, das sei seine Kunst. Lösegelder und Beute begründete er mit der Notwendigkeit, für sich und seine Leute den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zornig wurde er, wenn man ihn einen Gauner nannte. Er pflegte zu sagen:

»Gauner sind die feinen Herren in den Städten, vor allem aber meine reichen Mitbürger, und wenn ich sie umbringe, gebe ich ihnen nur die Gerechtigkeit, die sie verdienen. Wenn alle Armen wüßten, was für sie am besten ist, bliebe nich einer der Herren am Leben.«   - Richter Pani-Rossi, nach: Peter O. Chotjewitz / Aldo de Jaco, Die Briganten. Aus dem Leben süditalienischer Rebellen. Berlin 1979

Beruf Ehre
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Synonyme

Geier