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Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum
die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen
Himmelsrichtungen wohnt der Untergang.
- Erich Kästner, Fabian. Die
Geschichte eines Moralisten. 1931
Berlin (2) Sylvester 1928 Es gibt einen Grund,
warum man Berlin anderen Städten vorziehen kann: weil es sich ständig verändert.
Was heute schlecht ist, kann morgen gebessert werden. Meine Freunde und
ich wünschen dieser großen und lebendigen Stadt, daß ihre Intelligenz,
ihre Tapferkeit und ihr schlechtes Gedächtnis, also ihre revolutionärsten
Eigenschaften, gesund bleiben. Meinen Freunden wünsche
ich natürlich alles, was sie meiner Ansicht nach brauchen. -
(
bre
)
Berlin (3) War Sonnabend/Sonntag in Berlin. Wie
hat mich diese Stadt wieder erregt, ihre Abendstunde am Sonnabend zwischen 5
u. 6, ihr monströser Genußapparat, ihre Sicherheit, ihr Mördergesicht, ihr kaltes
Zerschmettern alles Provinziellen, kläglichen, kärglichen Nur-Wollens, hier
heißt es: Form werden u. vollbringen! Stadt meines Lebens, meines Schicksals,
meiner schönsten Jahre! Immer werde ich Heimweh nach ihr haben. - Gottfried Benn
an F.W. Oelze, 16. September 1935. In: G.B., Das gezeichnete Ich. Briefe aus
den Jahren 1900-1956. München 1962 (dtv 89)
Berlin (4) Städte und Länder gibt es, und Laubenkolonien
mit Rumpeldreck sind eben dasselbe. Da gibt es Städte mit Athmosphären, die
unerträglich sind. Berlin zum Beispiel, mit seiner Hafersuppenstruktur, technisch
fortschrittlich und zugleich psychisch jämmerlich durchwirkt, macht einen kalt
wütend. Diese verdammte Blase, roh, ohne ein anderes Interesse, als kommandiert
zu werden, intellektuell wie in der Markthalle der Fischstand, frettet sich
angeblich amerikanisch herum, dass es zum brüllen ist. Hochhäuser gibt es hier
nur nicht, weil zwei Leute mit Geist andauernd durch ihr Brüllen den Baugrund
erschüttern. Und selbst die Filme sind Kurtz und gut und Lang und breit so ähnlich:
zum brüllen. Hätte man nur den Mut, Kotzen als Pädagogik zu betreiben, es würde
von wunderbarer Wirkung sein. Gleich wäre das neue Centrum, romanisches Caffee,
Gedächtniskirche und Capitol samt Gloria und Ufapalast unter den Asphalt gekotzt
und kein Uhu krächzte mehr darum. Oh, diese Stadt - aber noch schlimmer die
psychische Atmosphäre! Fortschritt ist das Normale, Fortschritt mit Seele. Man
versieht sich nicht und schon hört man neben sich: mir kann keener. Denn siehste,
um 8te is schluss, nur um 1/2 9ne hatse jesacht, bleim se hat se jesacht, denn
se könn doch nich nischt essen den janzen Tach ins Jeschäft un da bin ick jeblieben
denn wenn schluss is is schluss un mir kann keener! Un ieberhaupt bin ick 'n
freier Mensch!! Oder man geht, weil man schon muss, spazieren. Da man nur hässliche
Menschen sieht, rettet man sich ins erste beste Haus. -
Raoul Hausmann (ca. 1927), nach: Eva Züchner: Scharfrichter der bürgerlichen
Seele. Raoul Hausmann in Berlin 1900 - 1933. Ostfildern 1998
Berlin (5)
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