eobachtung
Ein Vorschlag besagt, der menschliche Beobachter verursache den Kollaps
der Wellenfunktion, weil das menschliche Bewußtsein der fehlende Faktor
für die Beschreibung der Welt sei. Doch
diese Erklärung führt zu weiteren Paradoxa und
Problemen. Würde dies beispielsweise bedeuten, daß die Physik sich an dem
Punkt der Evolution, an dem Bewußtsein zum erstenmal aufgetreten ist, irgendwie
verändert hätte? War vor diesem Augenblick an alles mehrdeutig?
Und hat sich danach das gesamte Universum verändert?
Denn das menschliche Auge kann den Effekt von Quantenprozessen auch auf
fremden Sternen in Form des von ihnen emittierten Lichtes beobachten.
-
F. David Peat,
Der Stein der Weisen
.
Chaos und verborgene Weltordnung. Hamburg 1992 (zuerst 1991)
Beobachtung (2) Merkwürdiger, geheimnisvoller,
vielleicht gefährlicher, vielleicht erlösender Trost des Schreibens:
das Hinausspringen aus der Totschlägerreihe, Tat-Beobachtung. Tatbeobachtung,
indem eine höhere Art der Beobachtung geschaffen wird, eine höhere, keine
schärfere, und je höher sie ist, je unerreichbarer von der »Reihe«
aus, desto unabhängiger wird sie, desto mehr eigenen Gesetzen der Bewegung
folgend, desto unberechenbarer, freudiger, steigender ihr Weg. -
Franz Kafka, Tagebücher (27. Januar 1922) Frankfurt am Main 1967
Beobachtung (3) Erst mit dem Aufschreiben jetzt, das mir die Sinne schärfte, wurde ich aufmerksamer für die Bauwerke hier. Das geschah auf eine fast schon bewährte Weise: Da ich unfähig bin, etwas absichtlich wahrzunehmen, notierte ich jeweils erst daheim am Tisch, was mir, ohne rechtes Hinschauen, an dem und jenem Haus im Vorübergehen aufgefallen war. Dabei verließ ich mein bißchen Gedächtnisspur, wurde konkret, beschrieb möglichst vollständig, erfand auf gut Glück dazu, geriet ins Fabulieren.
Mit solcher Beschreibung, mehr einem Raten, von Haus und Gegend, schwarz
auf weiß im Kopf, brach ich dann ein zweites Mal dorthin auf. Und so erst
wurde ich imstande, zu sehen, wie es sich wirklich verhielt. Und weit stärker
noch als durch das Richtiggetroffene prägte sich durch meine Fehler mir
die genaue Örtlichkeit ein. Bloß mußte ich, um das zu erreichen, zwischen
die fragliche Sache und meine Sinne zuvor etwas Schriftliches gesetzt haben,
wenn nicht etwas Falsches, so doch halb Blindes, und jedenfalls etwas Schriftliches.
Ich brauchte dann nur noch wiederum heimzugehen und dieses, wo nötig, auszubessern.
- Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main
1994
Beobachtung (4)
Beobachtung (5) Aus Vergleichungen
gewinnen wir einen ungefähren Begriff von unserer Fähigkeit, auf der Grundlage
unvollkommener Gegebenheiten uns etwas vorzustellen.
Ebenso führen sie uns die ganze Nichtigkeit der Biographien im besonderen und
der Geschichte im allgemeinen vor Augen. Aber noch weit einleuchtender dürfte
allenfalls die folgende Tatsache sein: die erstaunlich große Wahrscheinlichkeit
nämlich, die dafür besteht, daß unsere unmittelbare Beobachtung ungenau ist,
— das Werk der Verfälschung also, das unsere Augen begehen. Beobachten, das
ist zur Hauptsache ein Sich-Vorstellen dessen, was man mit Sicherheit zu sehen
erwartet. Vor ein paar Jahren wurde eine Persönlichkeit,
die ich kenne (und die überdies ziemlich bekannt ist), anläßlich ihres Aufenthalts
in Berlin, wo sie einen Vortrag hielt, in zahlreichen Zeitungen geschildert,
die ihr übereinstimmend schwarze Augen gaben. In Wahrheit besitzt sie sehr helle.
Aber sie ist aus dem Süden Frankreichs gebürtig, die Journalisten wußten das
und sahen dementsprechend. Unter Degas hatte ich mir einen Menschen vorgestellt,
streng wie eine harte Zeichnung, einen Spartaner, einen Stoiker, einen Jansenisten
der Kunst. Eine Art Brutalität, die aus dem Intellekt stammte, schien mir an
ihm der wesentlichste Zug. Kurz zuvor hatte ich die „Soirée avec Monsieur Teste"
geschrieben, und dieser kleine Versuch eines imaginären Porträts, wiewohl auf
feststellbaren, möglichst genauen Beobachtungen und Verhältnissen beruhend,
dürfte durch einen bestimmten, in meiner Vorstellung lebenden Degas mehr oder
weniger „beeinflußt" sein. Die Manie, allerhand Monstra der Intelligenz
und des restlosen Bewußtseins zu erfinden, ließ mich zu jener Zeit nicht los.
Alles Unbestimmte war mir zuwider, und ich
wunderte mich, daß vielleicht niemand, in keinem Bereich, gewillt war, seine
Gedanken zu Ende zu denken ... -
(deg)
Beobachtung (6) Es gab eine Zeit, in der
ich viel an die Axolotl dachte. Ich besuchte sie
im Aquarium des Jardin des Plantes und brachte Stunden in ihrer Betrachtung,
der Beobachtung ihrer Unbeweglichkeit, ihrer
dunklen Bewegungen zu. Jetzt bin ich ein Axolotl. - Julio
Cortazar, Axolotl. In: J.C., Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main
1998
Beobachtung (7) Der Zweck der Psychologie ist der, die Vorgänge zu studieren, die sich »im Innern des Ich« abspielen; man entdeckt sie durch Beobachtung.
»Beobachten wir!« Und vierzehn Tage lang forschten sie nach dem Frühstück
regelmäßig in ihrem Bewußtsein aufs Geratewohl, in der Hoffnung, dort große
Entdeckungen zu machen; sie machten jedoch keine, worüber sie sehr erstaunt
waren. - (bouv)
Beobachtung (8) Wenn wir durchs Fenster
hindurch ins Zimmer schauen, erblicken wir
einen Herrn, der an einem Tisch sitzt. In einem anderen Zimmer steht ein Herr
neben einem Schrank. Im dritten beobachteten Zimmei stehen zwei Herren hinter
einem Tisch. In einem anderen Zimmer läuft ein Herr auf und ab. In einem anderen
Zimmer sitzen füni Herren, alle voneinander abgewandt, jeder liest. In einem
anderen Zimmer, fast schon im letzten Haus des Dorfes, steht ein Herr und singt.
Im letzten Haus des Dorfes sitzen zwei Herren einandei gegenüber. Einer singt,
der andere schlägt den Takt dazu. Im letzten Zimmer des letzten Hauses des Dorfes
liegt ein Herr auf dem Bett Wer weiß, ob es im nächsten Dorf anders ist. Überall
Frieden. - Reinhard Lettau, Auftritt Manigs (mit: Schwierigkeiten
beim Häuserbauen). Berlin u.a. 1982
Beobachtung (7) Das Beobachten ist eine Wissenschaft.
Aber eine unbekannte Wissenschaft, weil man das Beobachten im Grunde nicht erforschen kann. Das ist wie mit dem Einschlafen, man schläft nicht ein, wenn man ans Einschlafen denkt, und man kann sich beim Beobachten nicht beobachten. Und genau darum ist es ja so schwierig, dass du das Detektivsein lernst. Weil es im Grunde unerforscht ist, wie man richtig beobachtet. Detektiv bist du entwedet oder bist du nicht. Da lasse ich mir nichts erzählen von den geschehen Herren, die behaupten, Detektiv kann man lernen. Du hast die gewisse dings, oder du hast sie nicht. Das lässt sich nicht erklären.
Weil du darfst eines nicht vergessen. Das Beobachten ist dem Menschen nicht
gegeben. Er starrt eine Weile hin, und dann wird ihm langweilig und er schaut
woanders hin. Die meisten schauen von vornherein zu verkrampft, und deshalb
haben wir heute viele Brillenträger, das kommt vom Starren, sprich Verkrampfung.
Ist nicht nur hässlich, so eine Brille, sondern auch ein Ausweis, dass man kein
Talent zum Detektiv hat, weil man schon für drei Leben im Voraus gestarrt hat.
- Wolf Haas, wie die Tiere. Reinbek bei Hamburg 2001
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