eliebigkeit   In manchen Fällen erhält man den Sinn des Traumes erst, wenn man an dem Trauminhalt eine mehrfache Umkehrung, nach verschiedenen Relationen, vorgenommen hat. So z. B. verbirgt sich im Traume eines jungen Zwangsneurotikers die Erinnerung an den infantilen Todeswunsch gegen den gefürchteten Vater hinter folgendem Wortlaut: Sein Vater schimpft mit ihm, weil er so spät nach Hause kommt. Allein der Zusammenhang der psychoanalytischen Kur und die Einfälle des Träumers beweisen, daß es zunächst lauten muß: Er ist böse auf den Vater, und sodann, daß ihm der Vater auf alle Fälle zu früh (d. h. zu bald) nach Hause kam. Er hätte es vorgezogen, daß der Vater überhaupt nicht nach Hause gekommen wäre, was mit dem Todeswunsch gegen den Vater identisch ist. Der Träumer hatte sich nämlich als kleiner Knabe während einer längeren Abwesenheit des Vaters eine sexuelle Aggression gegen eine andere Person zuschulden kommen lassen und war mit der Drohung gestraft worden: Na wart', bis der Vater zurückkommt! - (freud)

Beliebigkeit (2)  H. Andrzejewski behauptet, die nationale und die moralische Verwirrung der Nachkriegszeit habe bei den jungen Literaten Enthemmung und geistigen Verfall ausgelöst. Ohne mich mit dem Autor auf eine Polemik über allgemeine Fragen einzulassen, stelle ich autoritativ fest, was mich betrifft - daß ein gewisser Vorfall mit einem Kater, dessen Zeuge ich im Jahre 1917 gewesen war, einen viel stärkeren Einfluß auf meine Psyche gehabt hatte als die kosmischen Erscheinungen zur gleichen Zeit. Ebenso hat mich die Nachkriegsatmosphäre viel weniger tangiert als die Freundschaft mit Kowalski und der nicht allzu schlimme Lungenspitzenkatarrh, den ich mir unvorsichtigerweise geholt hatte. Natürlich weiß von Kowalski und von meinen Lungenspitzen niemand etwas, dagegen kennt jeder die Nachkriegsatmosphäre, weshalb jedermann leicht in mir den Einfluß der Atmosphäre, nicht aber den von Kowalski ausmacht. Ich möchte nicht, daß man glaubt, ich beantwortete den ernsthaften und vollendet geschriebenen Artikel des H. Andrzejewski mit Spöttelei. Auf Kowalski und auf den Kater berufe ich mich, um nachzuweisen, daß in einer durchaus persönlichen Sache, wie es das künstlerische Schaffen ist, alle herkömmlichen Betrachtungsweisen unerhört beliebig bleiben. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß das schlechte Eheleben, der Zwist mit dem Bruder, die Geldbeutelschwindsucht oder auch die richtige Schwindsucht, und ähnliche, oft zufällige Fakten über die Ausbildung unseres Typus im stärkeren Maße entscheiden als die allgemeine »Atmosphäre«. In einer kranken Atmosphäre kann sich ein gesunder Typus von einem Literaten ebensogut erhalten wie in einer gesunden - ein kranker. Stellen wir uns vor, Schulz, Rudnicki und mich hätte während eines Spaziergangs in den Ujazdower Alleen eine Straßenbahn überfahren. Übriggeblieben wären Choromariski und Unilowski, der Krankenanteil in der jungen Literatur wäre merkbar geringer geworden, und dann hätte mit gleicher Leichtigkeit und Beredsamkeit H. Andrzejewski einen Artikel schreiben können, der nachweist, wie positiv die Nachkriegsatmosphäre das künstlerische Schaffen beeinflußt habe.  - Witold Gombrowicz, Eine Art Testament. Gespräche und Aufsätze. Frankfurt am Main 2006 (Fischer Tb. 16758, zuerst 1968)

 

Deutung Unbestimmtheit Willkür

 

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