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freud
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Beliebigkeit (2) H. Andrzejewski behauptet,
die nationale und die moralische Verwirrung der Nachkriegszeit habe bei den
jungen Literaten Enthemmung und geistigen Verfall
ausgelöst. Ohne mich mit dem Autor auf eine Polemik über allgemeine Fragen einzulassen,
stelle ich autoritativ fest, was mich betrifft - daß ein gewisser Vorfall mit
einem Kater, dessen Zeuge ich im Jahre 1917 gewesen
war, einen viel stärkeren Einfluß auf meine Psyche gehabt hatte als die kosmischen
Erscheinungen zur gleichen Zeit. Ebenso hat mich die Nachkriegsatmosphäre viel
weniger tangiert als die Freundschaft mit Kowalski und der nicht allzu schlimme
Lungenspitzenkatarrh, den ich mir unvorsichtigerweise geholt hatte. Natürlich
weiß von Kowalski und von meinen Lungenspitzen niemand etwas, dagegen kennt
jeder die Nachkriegsatmosphäre, weshalb jedermann leicht in mir den Einfluß
der Atmosphäre, nicht aber den von Kowalski ausmacht. Ich möchte nicht, daß
man glaubt, ich beantwortete den ernsthaften und vollendet geschriebenen Artikel
des H. Andrzejewski mit Spöttelei. Auf Kowalski und auf den Kater berufe ich
mich, um nachzuweisen, daß in einer durchaus persönlichen Sache, wie es das
künstlerische Schaffen ist, alle herkömmlichen Betrachtungsweisen unerhört beliebig
bleiben. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß das schlechte Eheleben, der Zwist
mit dem Bruder, die Geldbeutelschwindsucht oder auch die richtige Schwindsucht,
und ähnliche, oft zufällige Fakten über die Ausbildung unseres Typus im stärkeren
Maße entscheiden als die allgemeine »Atmosphäre«. In einer kranken Atmosphäre
kann sich ein gesunder Typus von einem Literaten ebensogut erhalten wie in einer
gesunden - ein kranker. Stellen wir uns vor, Schulz, Rudnicki und mich hätte
während eines Spaziergangs in den Ujazdower Alleen eine Straßenbahn überfahren.
Übriggeblieben wären Choromariski und Unilowski, der Krankenanteil in der jungen
Literatur wäre merkbar geringer geworden, und dann hätte mit gleicher Leichtigkeit
und Beredsamkeit H. Andrzejewski einen Artikel schreiben können, der nachweist,
wie positiv die Nachkriegsatmosphäre das künstlerische Schaffen beeinflußt habe.
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Witold Gombrowicz, Eine Art Testament. Gespräche und Aufsätze. Frankfurt am Main
2006 (Fischer Tb. 16758, zuerst 1968)
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